Was könnte 2015 für die Faire Elektronik bringen? Eine kleiner Ausblick inklusive Gedanken und Hoffnungen von Aktiven aus der Szene, die wir vorher angefragt haben und denen ein großer Dank gilt. Kommentare erwünscht!
Konfliktrohstoffe
Dieses Jahr wird es voraussichtlich so weit sein: Auch die EU bekommt eine Regulierung des Handels mit Konfliktrohstoffen. Die Vorgabe der Kommission ist allerdings enttäuschend. Noch im Dezember hatte das Parlament darüber diskutiert. Voraussichtlich im März kommt geht es in die heiße Phase. Die Frage ist, welche Änderung das Parlament fordern wird, bevor es im Laufe des Jahres dann endgültig darüber abstimmt. Wird die Freiwilligkeit gekippt? Werden doch mehr Firmen betroffen sein als nur die Rohstoffimporteure in der EU? „Es ist zu hoffen, dass das europäische Parlament während des Jahres 2015 ein Gesetz beschließt, das Unternehmen zu mehr Transparenz in ihren Rohstoffketten verpflichtet. Wir benötigen eine klar umrissene, gesetzlich verankerte Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette!“ schreibt uns dazu Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut in Köln.
Ahn solcher Gesetze zu Konfliktmineralien ist der oft erwähnte Dodd-Frank-Act Sect. 1502. Gegen die Ausführungsbestimmungen der US-Börsenaufsicht läuft noch ein Verfahren. Die Industrielobby, bei der auch einige IT-Hersteller organisiert sind, konnte im vergangenen durchsetzen, dass kein Produzent explizit äußern muss, durch seinen Einkauf könnten Kriegsparteien finanziert worden sein. Über die Revision, angestrengt von Amnesty International USA, wird in 2015 entschieden.
Zum 1. Juni 2015 wird es wieder die dazugehörigen Konfliktmineralien-Berichte aller betroffenen US-Firmen geben. Während es im vergangenen Jahr beim ersten Mal noch erlaubt war, einfach „indeterminable“ als Rohstoffquelle anzugeben ist dies in diesem Jahr zumindest für große Firmen nun nicht mehr erlaubt. Wir bekommen also noch mehr Informationen über die Herkunft einiger Rohstoffe in den Produkten einiger Hersteller. Und theoretisch müssten damit alle Zulieferer aus deren Lieferkette gestrichen werden, die dem Hersteller nie geantwortet haben, woher ihre Rohstoffe kommen.
Weitere Gesetze (außer zu Konfliktrohstoffen)
In China gibt es viel Bewegung, nicht nur innerhalb der Arbeiterschaft, die noch am Jahresende auf sich aufmerksam machte, sondern auch in der Gesetzgebung zu Betriebsräten. Kevin Slaten von China Labor Watch mailt uns aus New York: „Last year the Guangdong government declared a five-year plan to institute democratic union elections across the province. The interaction of this policy and workforces at electronics manufacturing facilities will be interesting and important to follow in 2015. Now that the government is creating an opportunity, brand companies have greater reason to act on commitments for the right to worker organization.“ So oder so nehmen es die ArbeiterInnen schon selbst in die Hand in der wichtigen Provinz Guangdong in der u.a. Shenzhen liegt mit seinen riesigen Elektronikfabriken.
Nachdem Staaten wie Frankreich, Schweden und Spanien von selbst Gesetze verabschiedeten, die große Firmen verpflichteten, auch nicht-finanzielle Informationen in Bilanzen zu verlangen, also auch Informationen über Umwelt- und Sozialaspekte, hat im letzten Jahr die EU mit der Richtlinie 2013/34/EU dies auch den anderen Mitgliedsstaaten auferlegt. In Deutschland wird dies mit dem Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz geschehen, das 2015 verabschiedet werden wird. Auch wenn in Deutschland keine relevanten IT-Produzenten mehr sitzen, so sind hier doch noch einige wichtige Zulieferer.
Manche Gesetze sind schon gemacht. Andreas Manhardt vom Öko-Institut, Freiburg, schreibt über unseren Elektro- und Elektronikgeräte-Abfall: „In 2015 sollte die neue WEEE-Richtlinie langsam greifen. Besonders interessant wird sein, wie die Wirkung der Beweislastumkehr beim Export von Gebrauchten elektrischen und elektronischen Geräten ausfällt. Zudem muss die Sammelinfrastruktur für Kleingeräte verbessert werden, wohl überwiegend über ein verpflichtendes Sammelnetz in Läden mit einer Verkaufsfläche größer 400qm.“ Manche Gesetze sind hingegen noch nicht gemacht. Manhardt ergänzt: „Hinsichtlich e-Schrott in afrikanischen Ländern hoffen wir, dass es endlich zu einer wirksamen Gesetzgebung in den Zielländern kommt. Denn Länder wie Ghana, Nigeria, Äthiopien und Kenia haben nun schon seit einigen Jahren Gesetzesentwürfe in der Schublade, die aber immer wieder am politischen Alltag scheitern.“
Rechtsprechung
Nach einigen Monaten ohne Ergebnis ist zu befürchten, dass auch die Kompensationsgespräche für die Leukemie-Opfer in Samsungs Halbleiterherstellung nicht beendet werden, weil die Fronten verhärtet sind. Dr. Kong Jeong-ok von der Opferorganisation SHARPS schreibt aus Seoul: „Hopefully we can get good result on three agenda of the negotiation in the new year: Samsung’s apology based on the recognition of its own responsibility, decent compensation for wide range of victims, and most of all, the comprehensive preventive measures.“ Desweiteren laufen noch Klagen einiger Opfer gegen die eigentlich zuständige Regierungsbehörde, die in drei Fällen schon gerichtlich gezwungen wurde zu zahlen. „The KCOMWEL has been spending too much time to investigate the claim cases. That is not consistent to the purpose of the Workers‘ compensation law which aims to provide decent and rapid compensation for the victims.“
Gegen Samsung wurde zudem schon 2013 eine Verbraucherschutzklage in Frankreich eingereicht. Ludovic Tantin von der klagenden NGO Sherpa berichtet uns: „The lawsuit had been received and accepted but we have to wait for the end of the preliminary investigations to know if there will be a trial or not.“ Die Gerichte scheinen auch bei unseren Nachbarn überlastet zu sein. Vielleicht wird es ja Neuigkeiten in 2015 geben? (Gegen Samsung läuft übrigens auch eine Zivilklage in Brasilien, über die wir aber leider keine aktuellen Informationen erhalten haben.)
Ein langer Prozess gegen RCA in Taiwan geht 2015 zu Ende. Dort geht es um Krebsfälle bei Anwohnern in der Nähe der Fabriken aufgrund kontaminiertem Wasser. „This has been a very important case with hundreds of victims of occupational exposure and illness“ schreibt uns Ted Smith aus San José von der International Campaign for Responsible Techology (ICRT), seit vielen Jahren vor allem aktiv in Sachen Einsatz von Chemikalien bei der Halbleiterherstellung.
Investigative Recherchen und Reaktionen der Firmen
Zumeist läuft es ja so ab, dass eine Organisation eine Arbeits- oder Menschenrechtsverletzung aufdeckt woraufhin dann, wenn die Empörung groß und breit genug ausfällt, die betroffenen Firmen reagieren. Am Ende letzten Jahres hatte BBC aus China und Indonesien berichtet. „Ich bin gespannt, was Apple nach den Vorwürfen der BBC zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei Pegatron unternimmt und welche Fortschritte die Zinn-Arbeitsgruppe um Apple, Samsung, HP, Dell, Sony und Co. in Indonesien erreicht“ schreibt Christian Wölbert, zuständiger Redakteur beim Heise-Verlag in Hannover.
Mit letzterem meint er die IDH Working Group, die nach den Aufdeckungen von Friends of the Earth über die Verhältnisse auf Bangka gegründet wurde. 2015 könnte in Indonesien eine Bag-and-Tag-Zertifizierung (ähnlich der bei Konfliktmineralien) fertig werden, die die gefährlichen illegalen von faireren legalen Abbauten unterscheiden ließe. „Mich interessieren natürlich weitere Entwicklungen des IDH-Programms“, schreibt auch Sebastian Beschke von FairLötet, ein Projekt mit dem Ziel, möglichst fairen Lötdraht anzubieten.
Neugierig kann man auch schon auf die ersten Under-Cover-Berichte aus einer Apple-Watch-Fabrik sein. So etwas oder ähnliches kommt 2015 bestimmt, zum Beispiel von China Labor Watch oder Dan Watch.
Zivilgesellschaftliche Initiativen
Das Projekt MakeITfair ist letztes Jahr beendet worden, neu in Europa ist Electronics Watch mit der Absicht, öffentliche Auftraggeber (also Behörden oder Unis) und Monitoring-Organisationen direkt an den Orten der IT-Produktion zusammen zu bringen, um einen faireren Einkauf zu ermöglichen. Nach einer Phase des Suchens von Kooperationspartnen beginnt Mitte 2015 deren Verknüpfung. Annelie Evermann vom Projektteilnehmer WEED schreibt aus Berlin: „Electronics Watch wird das Monitoring von Produktlieferanten für Vergabestellen aus ganz Europa beginnen.“
Der schon erwähnte ICRT und GoodElectronics eröffnen das Jahr mit einem Meeting zu einem immer wichtigen Thema: Dem Einsatz von Chemikalien in der IT-Produktion.Ted Smith vom ICRT schreibt: „We will develop a new ‚Charter‘ which will provide a roadmap of improvements needed in the technology industry to protect workers and communities. Also in 2015, the new Chemical Footprint Project will be launched and will begin to help benchmark chemical policy for technology companies as well as for other sectors.“ Das ICRT ist auch mitunterzeichner beim Aufuf, Lockerungen der Chemikalien-Regulierung aus dem TTIP-Vertragspaket herauszunehmen. Bis Ende 2015 soll ein TTIP-Entwurf vorliegen.
Dokumentarfilme
Dazu passt der in diesem Jahr veröffentlicht werdende Film Who Pays the Price? Er berichtet von Arbeitsunfällen und Vergiftungen in der Elektroindustrie und den Folgen für die ArbeiterInnen. Der beeindruckende Trailer deutet auf eine ausführliche Recherche in u.a. China und Südkorea hin. Der Film kommt zur rechten Zeit.
Ebenfalls letztes Jahr begonnen wurde Obama’s Law, der von den Auswirkungen der US-Gesetzgebung zu Konfliktmineralien berichtet. Der beschäftigt sich insbesondere mit den negativen Folgen des Aktionismus von Hilfsorganisationen, die sich wenig Gedanken zu machen scheinen über das was vor Ort passieren könnte. Die Vorab-Videoausschnitte sind schon mal sehr interessant. In 2015 wird der Film fertig gestellt.
Fairere Geräte
Konkrete Pläne für die inzwischen schon fast 5000 mal verkaufte faire Maus von NagerIT werden noch nicht verraten, aber Susanne Jordan schreibt uns augenzwinkernd: „2015 werden wir die Welt erobern, Ende des Jahres werden nur noch faire NagerIT Mäuse in Deutschland verkauft!“. Sicherlich wird weiter an den schon begonnenen Änderungen gearbeitet: Scrollrad aus Holz, neuer Kunststoff für das Gehäuse, Expansion in Europa. Vielleicht kann auch schon recyceltes Lötzinn vom schon erwähnten Projekt FairLötet eingesetzt werden?
Beim Fairphone steht im Sommer der Vorverkauf von Version 2.0 an, endmontiert bei einem neuen Fertiger, der vermutlich bald bekannt gegeben wird. Beim „alten“ Fertiger Guohong steht derweil noch die zweite Auszahlung des Worker Welfare Fund aus – ich bin schon neugierig, wofür sich die ArbeiterInnen diesmal entscheiden. Der Arbeitsschwerpunkt des Fairphone-Teams könnte in diesem Jahr beim Design des neuen Geräts und der Software liegen. Aus meiner Sicht unwahrscheinlich bleibt, dass Fairtrade-Gold und faireres Kobalt den Weg in das Gerät findet, obschon dies Chef Bas van Abel im letzten Jahr in Aussicht stellte. Konflikt-freies Wolfram z.B. im Vibrationsalarm zumindest ist plausibel: „For our next phone we hope to incorporate additional conflict-free minerals like tungsten, but that also depends on identifying manufacturers that are willing to use these minerals in the components we require. We also want to move beyond conflict-free … addressing the issues in mining at a broader scale, including child labor, health and safety, wages and general working conditions.“ heißt es im Blog.
Wir von der AG Faire Computer des FIfF werden zudem versuchen herauszufinden, wie fair die Produktion des nicht mehr rechtzeitig zu Weihnachten fertig gewordenen Shift 7 von ShiftPhones tatsächlich war. Erst wenige Exemplare sind in Deutschland; das Gerät dürfte im Januar vollständig ausgeliefert werden. Ein Shift 5 Smartphone soll dieses Jahr folgen.
Neue Geräte (außer denen mit Fairnessschwerpunkt)
Voraussichtlich in der ersten Hälfte 2015 wird die Apple Watch vorgestellt, und schon vor ihr gab es einen Boom an neuen Geräten, die noch kleiner sind als Handys. Wie weit sie noch von Menschenhand gefertigt werden, ist unklar. Auch sog. Wearables und schon wieder das „Internet der Dinge“ sind von der Industrie gesetzte Themen. Miniaturisierung erfordert immer speziellere Arbeitsprozesse und vermutlich mehr Chemikalieneinsatz.
Der Trend geht zudem Richtung Billiggeräte. Dieser Markt in China ist bei weitem nicht gesättigt, gleichzeitig expandieren Billighersteller nach Europa. Billig heißt auch: Die Marge für die Fertigungsbetriebe sinkt weiter und damit der Lohn und Komfort der ArbeiterInnen, was wiederum mehr Überstunden und andere Folgen mit sich bringen wird, nicht nur in China, sondern auch in „neuen“ Länder wie etwa Vietnam.
Vermutlich wird Apple auch ein neues iPad und im Herbst ein neues iPhone vorstellen und Samsung ebenfalls neue Geräte, und dies wird gewiss zum Anlass genommen von NGOs auf die Arbeitsbedingungen in den Fabriken zu schauen. Schon traditionell sinken die Arbeitsstandards mit jeder Runde erneut, weil die weltweiten Veröffentlichungstermine unbedingt zu halten sind. In den Under-Cover-Berichten steht dann das, was in ihnen schon immer stand, und wir wundern uns über die Unterschiede zu den ebenfalls jedes Jahr aktualisierten Verantwortungsberichten der Firmen selbst. Danach gibt es Untersuchungsversprechungen, und dass man sowieso schon viel tue und überhaupt, dass das Wohl der ArbeiterInnen das höchste Gut sei… naja, wie jedes Jahr halt.
Blog Faire Computer
Natürlich wird es auch 2015 wieder ein paar neue Blogbeiträge zu aktuellen Themen und als Überblick zu einem Spezialthema geben. Mindestens einer im Monat, versprochen! Aber viel mehr auch nicht. Es gibt zwar reichlich Ideen, nur Zeit gibt es zu wenig.
Wir wollen diesen Blog am Leben erhalten. Vielleicht möchte jemand von Ihnen und Euch auch mal einen Beitrag beisteuern? Wir bieten natürlich Unterstützung und sind offen für Neues. Bitte meldet Euch, damit dieser Blog nicht einschläft! (E-Mail-Adresse siehe Impressum)
Wir wünschen ein gutes Jahr 2015!
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