Fairphone wird sich von seinem Kontraktfertiger A’Hong = Changhong = Guohong trennen. Grund ist, dass sie mehr Einfluss auf das Gerätedesign haben möchten und deshalb von einem Lizenzmodel zu einem selbstbestimmten Entwurf wechseln wollen. In der Fachsprache heißt das: Sie wechseln von einem ODM (Original Design Manufacturer) zu einem EMS (Electronics Manufacturing Services) Anbieter. Damit werden sie auch mehr Einfluss auf die Auswahl der Geräteteile und das Gerätedesign bekommen. Für mehr Fairness ist die auch nötig.
Das Fairphone ist ein konventionelles Gerät mit ein paar „Interventions“. Es wird im wesentlichen etwas verkauft, was auf ähnliche Weise von Changhong auch direkt angeboten wurde, allerdings nicht auf dem europäischen Markt. Bekanntermaßen konnte Fairphone beeinflussen, welche Lotpaste und welcher Elko eingesetzt wurde, offensichtlich auch wie das Gehäuse aussieht, aber das elektrische Design dürfte wiederverwendet worden sein. Das könnte sich nun ändern.
Mit einem EMS-Partner könnte Fairphone besser bestimmen, woher z.B. das vielleicht bald konfliktfreie Wolfram im Vibrationsalarm kommt. Eventuell wollen sie auch nur den problematischen MediaTek-Chipsatz los werden.
Damit tritt Fairphone in die Fußstapfen der konventionellen Großen. Apple, HP, Dell und wie sie alle heißen folgen ebenfalls diesem Modell, nachdem sie vor vielen Jahren das andere Extrem, das Modell OBM (Original Brand Manufacturer), aufgaben. Die zur Auswahl stehenden EMS-Anbieter haben so illustre Namen wie Flextronics, Jabil Circuit und… Foxconn, weltweit berüchtigt nach der Häufung von Angestelltenselbstmorden in 2010.
Die Teile- und Zuliefererliste
Fairphone berichtet lediglich über Fairness in der Endmontage. Es gibt einen Auditbericht dazu. Es fehlen Informationen zu den vorgelagerten Stufen, Ausnahme ist die teilweise geklärte Tantal- und Zinnherkunft.
Über die vergangenen Monate hat Fairphone eine immer umfangreichere Teile- und Zuliefererliste veröffentlicht. Sie ist allerdings nicht vollständig, so fehlt beispielsweise der schon oben erwähnte Vibrationsalarm. Die aktuelle Version umfasst aber immerhin 80 Positionen. Wie diese Informationen zustande kamen ist leider nicht bekannt. Manches ergäbe sich schlicht aus einem Teardown.
Zum Vergleich:
- Hewlett-Packard veröffentlicht keine Teileliste ihrer Produkte. Sie fassen aber Zulieferinformationen in Produktkategorien wie Notebooks, Storage, Printer, etc. zusammen. Es gibt also a) diese Zuliefererliste, die die einzelnen Endfertigungsfabriken (auch als Karte) und die Firmennamen einiger Teilehersteller auflistet, b) eine jährliche Zusammenfassung von Audit-Ergebnissen bei meist direkten Zulieferern und c) die Liste der 3TG-Hütten (HP hatte als erste Firma damit schon vor Jahren begonnen), ergänzend dazu der pflichtgemäße Bericht gemäß US-amerikanischem Dodd-Frank-1502.
- Apple veröffentlicht ebenfalls keine Teileliste ihrer Produkte, verrät aber a) ebenfalls anhand von Produktkategorien die Endfertigungsfabriken und – auf einen Haufen geworfen – sogar die meisten Komponentenlieferanten (2013er Karte dazu bei ChinaFile), womit sie HP übertreffen. Jährlich veröffentlicht Apple b) Erkenntnisse aus ihren Audits in dem Supplier Report, zudem hat Apple ausführliche Berichte über einige Foxconn-Werke (1st, 2nd, Final) veröffentlichen lassen. Auch Apple hat inzwischen c) eine Liste der 3TG-Hütten und natürlich ebenfalls den gesetzlichen DF-1502-Bericht.
- Von Samsung ist mir weder eine Teile- noch eine Zuliefererliste bekannt. Sie veröffentlichen ein paar Ergebnisse ihrer Audits bei den Betrieben und vage Zahlen über 3TG-Hütten, über die sie allerdings als Koreanische Firma auch nicht DF-1502-berichtspflichtig sind, genauso wie die niederländischen Fairphone.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass diese Analyse nur die Transparenz in der Zulieferung betrifft, und dass Apple mitnichten faire Geschäftspraktiken unterhält, siehe mein Blogbeitrag mit dem ironischen Titel „Kaufempfehlung Apple“.
Fairphone geht also bei den Zuliefererinformationen über die Arbeit von Samsung, nicht aber von HP und Apple hinaus. Teilelisten sind bei Apple. HP und Samsung aber nicht zu bekommen, werden aber kostenpflichtig bei z.B. IHS oder Chipworks und eher als Nebeneffekt bei iFixit oder MyFixGuide angeboten.
Die Lieferkette fehlt
Die Zuliefererliste von Fairphone ist keine sogenannte Lieferkette, also keine Aufstellung, welche Geräteteile von wem wo hergestellt und zusammengebaut wurden. Es werden zwar einige Teile veröffentlicht, aber nicht die Fertigungsfabriken der Hersteller – lediglich deren Firmensitz, der aber irrelevant ist – und auch nicht, welche Teile aus welchen Teilen bestehen… bis runter zu den Quellen der Rohstoffe. Zugegebenermaßen: So etwas kennen wir auch nur aus der Lebensmittelbranche, und dort ist es auch nicht öffentlich.
Es gibt mit der Computermaus von NagerIT dennoch ein Vorbildprojekt in Sachen Lieferkettendokumentation.
Deren öffentliche Lieferkette zeigt zum einen den „Baum“ der Zusammenstellung des Produkts von (oben) dem Vertrieb bis (unten) den Rohstoffen, wobei noch nicht alle Beziehungen bekannt sind. Zum anderen zeigt es per Farben an, ob der Hersteller/Fertigungsbetrieb bekannt ist und wie die Arbeitsbedingungen sind.
Wenn man etwas ähnliches für Fairphone aufstellen wollte, käme man in etwa zu einem Bild wie diesem:
Erstellt wurde das Bild mit dem SupplyChainEditor von Lebensland. Erläuterung: Pro Kategorie werden jeweils nur zwei exemplarische Teile dargestellt; es gilt eh für alle das gleiche. Und mit der Ausnahme von Tantal in Kondensatoren und Zinn in der Lotpaste und den Leiterplatinen wurden die vielen Rohstoffe unten und oben lediglich angedeutet und nicht mit Kanten verbunden. Die Farben entsprechen nicht ganz denen der NagerIT-Lieferkette und bedeuten: Grün = gute Arbeitsbedingungen, Grau-Blau = verbesserungswürdige Arbeitsbedingungen aber Teilerfolg erzielt, Orange = Hersteller bekannt aber Arbeitsbedingungen unbekannt, Rot = weder Hersteller/Hütten/Minen noch Arbeitsbedingungen bekannt.
Das Bild musste ich leider selbst malen. Fairphone hat sich meines Wissens nie die Mühe gemacht. Hat die Firma mit „Fair“ im Namen überhaupt je versucht die Herkunft der Teile und Rohstoffe und die dort vorzufindenden Arbeitsbedingungen zu klären?
Derzeit muss man Fairness noch selbst machen
Der wesentliche Unterschied zwischen NagerIT und Fairphone bzgl. der Lieferkettendokumentation ist die Menge der „grünen“ Zulieferungen.
Der Grund ist einfach: NagerIT folgt einem EDM-Modell, fast schon einem OBM und nicht einem ODM, d.h. das Mausdesign ist in der Hand des Herstellers und damit die Möglichkeit, faire Alternativen auszuwählen. Nur so konnten die grünen Stellen in der Lieferkette entstehen. Die Facebook-Seite von NagerIT und Newsletter sind voller Geschichten über die Recherche von Herkunft und Arbeitsbedingungen und der Auswahl fairerer Alternativen.
Fair oder Fairer?
Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen den beiden Projekten ist zu bedenken: Während NagerIT die fairste mögliche Alternative auswählt, möchte Fairphone dort etwas verändern (und hoffentlich verbessern), wo die Bedingungen bekanntermaßen schlecht sind.
Mit diesem Ansatz wird bei Fairphone stets mehr im grau-blauen Bereich bleiben als beim grünen NagerIT. Da muss sich der Konsument also selbst überlegen, welche Form von Fairness ihm wichtiger ist: die absolute Fairness von NagerIT oder die eher entwicklungs-orientierte Fairness von Fairphone. Nun, wer muss sich aber schon entscheiden zwischen einer Maus und einem Telefon?
Ich stelle fest: Fairphone möchte sich Teile aussuchen können. Fairphone möchte deshalb zu einem EDM wechseln. Fairphone bevorzugt einen entwicklungs-orientierten Ansatz. Deshalb könnte Fairphone durchaus auch das Gespräch mit EDM Foxconn suchen (die bekanntermaßen gar nicht so schlecht bezahlen) und dort Verbesserungen verhandeln. O.k., der Aufschrei wäre groß, Foxconn interessiert sich wohl nicht für so kleine Aufträge und Apple kann sicher mehr bewegen, aber: Das wäre eine konsistente, mutige Entscheidung.
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Ich habe die Fairphone-Lieferkette etwas angepasst, weil der Lieferant des Lötdrahts AIM ist, die Teil der CFTI sind, der Draht also evtl. ebenfalls konfliktfrei aus dem Kongo bezogen wurde.
Hallo Sebastian. Vielen Dank für diesen ausführlichen Artikel. Bin mangels Zeit erst dieses WE zum Lesen gekommen. Da hast du ja mal wieder ordentlich Arbeit in der Recherche gesteckt. Zum Thema „Zwei Arten von Fairness“ würde ich noch anmerken, dass der NagerIT-Ansatz glaube ich durchaus ist auch in Gegenden mit niedrigen Standards die Situation zu verbessern (s. die Reise durch China).
Ich finde deinen Beitrag auch sehr interessant und ich finde es super dass du dir die Mühe mit diesem Blog machst. Bei einer Sache bin ich mir aber nicht so ganz sicher. Fairphone meinte doch dass sie in Europa einfach keine Möglichkeiten haben ein Smartphone herzustellen und man sich deshalb für China entscheiden musste. Ich finde dass beide Firmen eine ähnliche Auffassung von Fairness haben nur sind ihre Vorhaben unterschiedlich komplex sodass man meinen könnte sie hätten unterschiedliche Philosophien. Oder wie siehst du das?
Hallo Franz,
Fairphone hat (übrigens ähnlich wie Apple) mehrmals geäußert (soll ich die Quellen raussuchen?), die Situation vor Ort ändern zu wollen, wo sie nicht fair ist, um sie ein wenig fairer zu machen. Ich habe also nicht nach den Taten geurteilt, sondern nachdem was sie schreiben.
Aus meiner Sicht hat sich diese Taktik erst mit der Zeit bei Fairphone durchgesetzt, daher am Anfang noch die Suche in Europa. Man erkennt es auch an dem Ziel, Tantal aus Kongo beziehen zu wollen, was ja nicht nötig wäre. Nager-IT würde sowas nie machen, nehme ich an.
Viele Grüße,
Sebastian