Da schreibt und redet man seit Jahren über Fairness in der IT und dann das: Jemand kommt auf mich zu und fragt, was er als Unternehmer in der IT-Produktion denn machen muss, um fair zu sein, und ich… zögere und zucke mit den Achseln. Hier nun die verspätete Antwort, die zusammengefasst lautet: Mache es wie die Großen, aber anders.
Vorweg ein paar Einschränkungen:
- Es geht hier nur um Arbeits- und Menschenrechte, nicht um Umwelt- und Klimaaspekte. Es fehlen auch Kriterien zu Bestechung, Steuerzahlungen, Konsumentenschutz oder Wettbewerbsverhalten.
- Es geht hier nur um die Elektronikindustrie, vor allem um die IT-Hardware.
- Es geht hier lediglich um die Fairness während der Hardwareproduktion, nicht während des Gebrauchs oder der Entsorgung der Geräte, auch nicht um Software.
- Es geht hier der Übersichtlichkeit und Beschränkung wegen nur um die „erste Schicht“ der Zulieferkette, also der Endfertigung der Gerätschaft und nur in Ausnahmen um die Komponentenproduktion oder Rohstoffgewinnung, im übrigen auch nicht um die Bedingungen der Angestellten in Entwicklung, Marketing und Verwaltung.
- Es geht nicht um das klassische „Coorporate Social Responsibility“ das einen Konzern dazu verleitet, zum Beispiel Schulgebäude in Äthiopien errichten zu lassen, um Fotos von arbeitenden Afrikanern in Firmenoveralls zu schießen, die sich im Nachhaltigkeitsbericht gut machen.
Wie die Großen es machen
Dies ist der klassische Dreisprung in die Fairness:
- Erstelle einen (Soll-)Verhaltenskodex, der für Dich und Deine Zulieferer gilt, also Teil der Arbeits- und Auftragsverträge ist. Je umfassendere und strengere Kriterien er enthält, desto fairer.
- Beobachte die (Ist-)Einhaltung des Kodex. Je häufiger und glaubwürdiger diese Kontrollen geschehen, desto fairer.
- Reagiere auf entdeckte (Soll-Ist-)Abweichungen. Je konstruktiver diese Maßnahmen auf die zukünftige Einhaltung des Kodex wirken, desto fairer.
Es wäre zu ergänzen, dass die Maßnahmen ebenfalls zu evaluieren sind und dass man all dies auch öffentlich dokumentieren sollte, um anderen die Fairness beurteilen zu lassen. Genau das machen die Großen leider selten, wie wir gleich sehen.
1. Der Verhaltenskodex
Was für fair gehalten wird definiert sich in so genannten Verhaltenskodex (engl. Code of Conduct, kurz: CoC) einer Firma. Inspiration für einen Kodex kann man sich an vielen schon existierenden Stellen holen:
- Viele IT-Hersteller haben neben dem eigenen Firmenkodex auch einen ausführlichen Zuliefererkodex (engl. Supplier Code of Conduct), zu finden beispielsweise bei Apple, Samsung oder Hewlett Packard (HP).
- Das Elektroindustriekonsortium EICC hat einen eigenen CoC definiert, an den sich viele ihrer Mitglieder orientieren. Soweit ich sehe hat ihn Samsung 1:1 übernommen und lediglich in Sachen Konfliktmineralien und Zinn aus Indonesien Spezialregelungen ergänzt. Der EICC-CoC ist ursprünglich aus dem HP-CoC hervorgegangen, daher sind auch bei HP viele Ähnlichkeiten zu finden. Auch Apple zitiert ihn.
- Darüber hinaus gibt es noch einige allgemeine (also nicht auf die Elektronikindustrie spezialisierte) Initiativen für die Etablierung von CoCs, etwa die Ethical Trading Initiative (ETI) mit Anleihen aus den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) oder Social Accountability International (SAI) mit ihrem an internationalen Menschenrechtsabkommen (ICCPR) orientierten SA8000-Richtlinien.
Ein Vergleich der einzelnen Kodizes wäre interessant, aber aufwändig. Er käme nicht zu einem eindimensionalen fair – fairer – am fairsten. Was festgestellt werden muss ist:
- Kein einziger dieser CoCs dürfte eingehalten werden. Das beginnt schon damit, dass in allen zumindest das Respektieren der lokalen Gesetze gefordert wird, dies aber – oft mit Duldung der Behörden – gar nicht geschieht.
- Die Firmenkodizes werden gelegentlich angepasst aufgrund von Entdeckungen investigativer Recherchen Dritter. Sie laufen der Realität also meist hinterher.
- Es ist wahrscheinlich, dass das Recht auf gewerkschaftliche Organisation und Kollektivverhandlungen in Firmen-eigenen Kodizes nicht thematisiert wird, so auch nicht bei EICC, wohl aber ILO. Die Firmen mögen die Stärkung der Autonomie der Arbeitnehmerschaft nicht so gerne. Sie wollen auf keinen Fall eine kollektive, solidarische Organisation.
Man könnte sich auch die Kriterien von Siegeln und Rankings anschauen, die mit Gewerkschaften natürlich kein Problem haben. Als Siegel liegt uns im Elektronikbereich eigentlich nur das von TCO Development vor, welches sich an den Gemeinsamkeiten von SA8000 und EICC gleichermaßen halten, ansonsten auf ILO und ICCPR setzt. Als Ranking könnte man Rank a Brand zur Vorbild nehmen, welches für die Elektronikmarken spezielle Kriterien formuliert, die sich grob an ETI, vor allem aber an der grundsätzlichen Engagiertheit eines Herstellers in diversen Initiativen orientiert.
2. Die Kontrollen
Das besondere an Siegeln und Rankings ist, dass sie auch die Kontrollmechanismen der Firmen anschauen, also den zweiten Schritt. Denn die Absichten sind das eine, Frage ist ob sie auch durchgesetzt werden. Da wie erwähnt der Kodex Teil des Arbeitsvertrags oder Bedingung für die Auftragsvergabe ist, bedarf es einer Überprüfung, ob er auch tatsächlich eingehalten wird. In aller Regel geschieht dies durch unabhängige Audits, d.i. ein Beratungsunternehmen geht in die Firmen, prüft die Einhaltung der Kriterien anhand Beobachtung, Befragung und Unterlagen und schreibt einen Bericht, der auch Maßnahmenvorschläge enthält.
Es gibt sehr viele Auditunternehmen, die sich alle ein wenig spezialisiert haben. Hier sind ein paar prominente Fälle aus der IT-Industrie:
- Nach den Berichten über die Selbstmorde bei Foxconn hat deren größter Kunde Apple über die Fair Labor Association (vorher eher im Bekleidungssektor aktiv) Auditoren beauftragt, einige Foxconn-Werke zu untersuchen. Sie haben Berichte geschrieben und auch ausgewählte Presse eingeladen. Später wurde es bei Quanta-Werken wiederholt. Darüber hinaus behauptet Apple, 450 Audits im Jahr 2013 durchgeführt zu haben (vermutlich von einer internen Abteilung), fasst deren Ergebnisse aber nur in ihrem jählichen Bericht zusammen, d.h. sie sind nicht in Gänze öffentlich.
- Samsung behauptet, 90% ihrer Produktion im eigenen Haus zu haben. Leider scheinen sie da keine Auditoren rein zu schicken. Für die Zuarbeitsunternehmen wurden zwar laut eigener Aussage Audits gemacht, allerdings wie Apple nicht nur von unabhängigen Drittanbietern sondern auch von Samsung-Angestellten selbst. Die Zahlen sind unklar; es ist die Rede von „100 Zulieferern in China“. Die Ergebnisse sind auch hier nicht öffentlich, sondern werden ähnlich Apple zusammengefasst in ihrem Nachhaltigkeitsbericht.
- HP hat 172 Audits durchgeführt in 2013 und veröffentlicht ebenfalls nur eine Zusammenfassung.
- TCO Development beauftragt selbstständig Audits über die Herstellung der bei ihnen für das Siegel eingereichten Geräte. Die Ergebnisse sind nicht öffentlich, allerdings haben sie im vergangenen Jahr eine Zusammenfassung der Erkenntnisse veröffentlicht, ohne freilich Namen zu nennen.
Die Wirksamkeit von Audits wird vielfach kritisiert, auch in diesem Blog. Die meist genannten Probleme sind
- ihre Vorhersagbarkeit, so dass Unterlagen gefälscht und ArbeitnehmerInnen rechtzeitig instruiert oder Minderjährige versteckt werden können
- eine Geschäftemacherei mit Auditaufträgen, die durch simples Abhaken von Checklisten allen dienen, nur nicht den Betroffenen und den besorgten Konsumenten
- fehlende Konsequenzen aus den gewonnenen Erkenntnissen.
3. Die Maßnahmen
Denn Teil des Auditberichts sollten immer auch Maßnahmen (engl. corrective actions) zur Verbesserung der Situation sein, deren Umsetzung wiederum evaluiert werden muss. Diese Maßnahmen sind der Prüfstein. Und hier unterscheiden sich die Hersteller. Ein paar Beispiele:
- Apple hat 2008 nach eigenen Ermittlungen entdeckt, dass sich Leiharbeiter durch Vermittlungsgebühren hoch verschulden, und in der Folge die Zurückzahlung von Geldern veranlasst. In einem anderen Fall hat Apple 2010 eine Vertragbeziehung abgebrochen, nachdem wiederholt Kinderarbeit entdeckt wurde. Ebenfalls aktiv ist Apple bei der Reduzierung der Arbeitszeit auf 60 Wochenstunden.
- HP zwingt nach Berichten über zwangsarbeits-ähnliche Situationen in Malaysia seit 2014 seine Zulieferer, Gastarbeiter nur noch direkt anzustellen und nicht über Agenturen. (Das EICC hat daraufhin ein Programm aufgesetzt mit ähnlichem Fokus.) Seit 2013 gibt es Regelungen zum Einsatz von Studierenden und PraktikantInnen.
- Samsung hat nach Berichten über Kinderarbeit bei Zulieferern zwar nach eigener Recherche dies nicht bestätigen können, dennoch Maßnahmen ergriffen, z.B. allgemein einen neuen Einstellungsprozess mit genauerer Prüfung der Personalausweise der Bewerber. Als das Problem später wieder auftauchte, hatte Samsung vorübergehend eine die Auftragsmenge beim betroffenen Auftragnehmer reduziert.
- Ein Beispiel aus der Rohstoffbeschaffung: Motorola und AVX haben 2012 das Solutions for Hope Projekt gestartet mit dem Ziel, Finanzierung von Kriegsparteien beim Kauf von Tantal zu unterbinden (Konfliktmineralien). Sie haben hier selbst für Verbesserung gesorgt, statt nur zu fordern oder zu sanktionieren.
Typische Maßnahmen sind also:
- Beendigung oder Einschränkung des Vertragsverhältnisses wegen Verletzung des CoC
- Verpflichtende Einführung von Maßnahmen als Voraussetzung für die weitere Auftragsvergabe
- Sich selbst drum kümmern, weil die Alternativen fehlen
- Schulung des Managements oder der ArbeiterInnen des Zulieferers
- Ermahnungen, es zukünftig besser zu machen und mit Sanktionen drohen
Solche Maßnahmen sind wichtige Schritte hin zu mehr Fairness, allerdings sollte man sich klar machen, dass viele Maßnahmen nicht aufgrund eigener beauftragter Audits entstanden sind, sondern aufgrund von Aufdeckungen durch NGOs, negativer Presse und Kundenprotesten. Die Wichtigkeit ist kaum zu überschätzen. Die NGOs haben ihre Arbeit inzwischen dahingehend angepasst, dass sie vor allem beobachten, ob die versprochenen Maßnahmen tatsächlich umgesetzt wurden. Eine Reihe von „Broken Promises“-Nachberichten sind so entstanden:
- Jüngst hat die BBC in einem Beitrag über Apple an zwei Beispielen (Fertigung bei Pegatron in China, illegaler Zinnabbau in Indonesien) über „Apple’s Broken Promises“, d.h. über Maßnahmen und deren Unwirksamkeit berichtet.
- China Labor Watch (CLW) berichtete z.B. über Apples „Two Years of Broken Promises“ oder „Apple’s Unkept Promises„, hat aber auch Samsung im Blick, z.B. über „Another Samsung supplier factory exploiting child labor“ oder dass durch „Follow-up Investigations of Five Samsung Factories“ keine von Samsungs Versprechungen als umgesetzt anzusehen war.
- SACOM konnte anfangs zusammen mit Organisationen von makeITfair noch „Important improvements“ ausmachten, wenig später blieb ihnen aber nur noch zu sagen dass „Foxconn and Apple Fail to Fulfill Promises„. Auf die Frage „Have working conditions at Foxconn in China improved?“ antworteten sie mit einem klaren Nein und meinten später „Apple fails in its responsibility to monitor suppliers„.
Und dann ist alles fair?
Nein, aber das ist derzeit der aktuell beschrittene Weg zu mehr Fairness, zumindest wie ich es in der Elektronikindustrie beobachte: Kodex, Kontrolle, Korrektur. Meine Antwort an den Unternehmer ist also: Schau Dir diese Fälle an, daran wird man gemessen.
Auch wichtig, vielleicht sogar wichtiger, sind weitere Überlegungen, auf die ich noch kurz eingehen möchte:
- Warum verraten die Firmen nicht, in welchen konkreten Fabriken aktuell ihre Geräte hergestellt werden und warum lassen diese Firmen niemanden rein? Eine wirklich benötigte Transparenz ist derzeit weit weg. Wollten die Firmen tatsächlich Fairness, müssten sie es erlauben. (Das zivilgesellschaftliche Projekt Electronics Watch versucht hieran etwas zu ändern.)
- Warum machen die Firmen vor Release ihrer Geräte nur so einen Druck auf die Zulieferbetriebe und die Verfügbarkeit von Rohstoffen? Warum werden sie gegenseitig ausgespielt? Derzeit haben die Zulieferer keine Chance, und Apple ist einer der schlimmsten in diesem Bereich. (Sehr gut beschreibt das der Bericht „Dragging out the best deal“.)
- Warum wehren sich Firmen immer gegen gesetzliche Regelungen und streben so etwas sonderbares wie freiwillige Verpflichtungen an? Warum stehen sie nicht für weltweite Standards ein, wenn sie meinen, lokale Gesetze würden die Wettbewerbsfähigkeit beschränken? (Derzeit wieder gut zu sehen bei der Diskussion in der EU über Konfliktmineralien.)
Wie es die Kleinen machen
Einen Kodex kann man einfach kopieren und übernehmen, man muss halt einen finden, der zu der eigenen Vorstellung von Fairness passt. Das Problem für kleine Umsätze sind die Audits, denn die sind sehr teuer, egal, wie viele Geräte man herstellen lässt, d.h. kleine Produktionsmengen lassen Audits umso teurer pro Gerät werden.
- Fairphone hat dennoch den externen Dienstleister TAOS beauftragt, die Zusammenbaufirma Changhong zu beurteilen und den entstandenen Bericht veröffentlicht. Durch diese Untersuchung definierte sich implizit der Kodex, der sich an ETI anlehnt.
- Nager IT hat seine Vorstellungen von Fairness anhand der ILO-Normen beschrieben und lehnt eine reine Soll-Beschreibung als Forderung an die Zulieferer ab. Nager IT bezieht bevorzugt aus Ländern, in denen anerkannt hohe Arbeitsstandards herschen, sei es weil die Gesetze gut sind und auch meist eingehalten werden, sei es weil es staatliche oder gewerkschaftliche Kontrollen gibt und eine Arbeiternehmerschaft, die sich wehren kann und es auch tut. Eigene Audits werden auf diese Weise überflüssig. Manche Teile gibt es aber nur in problematischen Ländern, und im Fall des USB-Kabels war Nager IT mit lokaler Unterstützung selbst vor Ort um sich ein Bild zu machen. Leider ist dies bislang nur in einer Art Tagebuch bei Facebook dokumentiert.
Auch bei den Maßnahmen können kleine Unternehmen aus Aufwandsgründen nicht aus dem Vollen schöpfen, zudem kaum Druck machen auf die Zulieferer. Trotzdem sind sie sehr aktiv:
- Im wesentlichen besteht die Maßnahme von Nager IT im Wechsel von Anbietern zwecks Auswahl der höchst möglichen Fairness. Dies wird durch die Lieferkettendokumentation sehr transparent gehalten, und bewegt sich im Gegensatz zu allen anderen Anbietern auf der Ebene der Einzelteile der Computermaus. Zum Beispiel hatte Nager IT eine Lieferbeziehung abgebrochen, nachdem der Tastenhersteller seinen eigenen Zulieferer gewechselt hat ohne ausreichend Auskunft zu geben.
- Fairphone machte einige Maßnahmen gezielt zum Produktfeature bevor es das Gerät überhaupt gab, wissend um der zu erwartenden Probleme. Diese so genannten Interventions zielen auf den Bezug bestimmter Rohstoffe oder die zur Verfügungstellung von Geldern zwecks eigenbestimmter Arbeitsplatzverbesserung. Ansonsten konnten aufgrund des Audits ein paar kleine Maßnahmen umgesetzt werden.
- FairLötet konzentriert sich auf das Anbieten einer ganz speziellen Maßnahme, nämlich dem in jeder Elektronik zu findenden Lötzinn. Idealerweise entsteht so ein Baukasten, aus dem sich ein Hersteller bedienen kann, wenn ihm Fairness wichtig ist.
Von den Großen muss man erwarten können, dass sie in die Breite gehen. Kleinen Unternehmen, die fair sein wollen, möchte ich raten, sich spezielle Maßnahmen herauszupicken und diese auch aktiv zu bewerben.
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