TCO – das lang ersehnte Fair-Label für IT-Produkte?

Press2012-Products-TCOTCO dürfte einigen von Euch bekannt sein als Ergnomie-Warentester vor allem für Monitore. Früher klebten die Bäppels direkt vorne am Gehäuse, heute sind die TCO-Labels eher hinten bei den Steckern zu sehen. Es ist vielleicht zu selbstverständlich geworden, TCO-zertifiziert zu sein, obschon die Anforderungen stetig stiegen.

TCO Development ist eine Unterorganisation der schwedischen Angestelltengewerkschaft TCO und als solches interessiert an einer guten Arbeitsumgebung.

TCO zertifiziert viele IT-Geräte, nicht nur Monitore, und vor allem: Die Kriterien betreffen längst nicht mehr nur die Ergonomie, sondern beinhalten seit einigen Monaten auch Kriterien für die sozial-verträgliche Herstellung. Es wäre damit das erste Fair-Label für IT das tatsächlich auf den Geräten kleben könnte.

Wie leicht bekommt man das Label?

Die Markenhersteller müssen sich um das Label bewerben und zahlen jährlich dafür, es auf/unter/hinter ihre Geräte zu kleben. TCO betont, dass es finanziell nicht abhängig davon ist. Abgelehnte Bewerbungen werden leider nicht veröffentlicht.

Die TCO Zertifikate-Landschaft ist kompliziert: Es gibt mehrere Produktkategorien und pro Kategorie alle paar Jahre neue Anforderungen. Die Zeritifikate bekamen früher ein Jahr im Namen, heute eine fortlaufende Nummer, und grob gilt: je höher die Nummer, desto strenger die Kriterien. Für die Sozialkriterien interessante aktuelle Zertifikate sind z.B. TCO Certified… …Displays 6, …Notebooks 4, …Desktops 4, …Tablets 2 and …All-In-One PCs 2 und …Smartphones 1. Letzteres ist erst Ende April fertig geworden.

Es gibt Zertifikate für konkrete Gerätemodelle, also nicht für eine Firma an sich. Begutachtet werden die Produktionsstätten (seien es eigene wie bei z.B. Samsung oder fremde wie bei z.B. Apple), in denen diese Modelle hergestellt werden und begutachtet wird auch, wie die Markenfirma diese Produktionstätten begutachtet und ob ggf. verbessernde Maßnahmen umgesetzt werden. Vorherige Stufen des Produktionsprozesses, etwa die Herstellung der elektronischen Komponenten oder die Rohstoffbeschaffung sind nicht Teil des Zertifikats.

Ältere Versionen von TCO-Labels

Ältere Versionen von TCO-Labels

Nun das wichtige. Die Sozialkriterien sind:

  1. Einhaltung aller 8 ILO-Kernarbeitsnormen
  2. Einhaltung des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes, Artikel 32
  3. Einhaltung der im Fertigungsland herschenden Gesetze.

Man sollte ergänzen, dass in einigen Ländern nicht alle ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert wurden, d.h. Gesetzesrang haben, z.B. herrscht in China keine Vereinigungsfreiheit. Die Kriterien enthalten auch keine über die oft schwache gesetzliche Regelung hinausgehenden Einkommenregelungn; der gesetzliche Mindestlohn (den es in z.B. China gibt) ist selten ein existenzsichernder Lohn.

Bedingungen für eine Zertifizierung bei den Sozialkriterien ist, dass eine der folgenden 3 Einstiegshürden genommen werden:

  • Mitgliedschaft bei der EICC, eines Selbstverpflichtungsvereins der Elektronik-Industrie. Viele namhafte Hersteller sind schon Mitglied. (Ich hoffe, in einem späteren Post mal genauer auf den eher schwachen EICC-Code-of-Conduct eingehen zu können.)
  • Besitz eines SA8000-Zertifikats. Dies ist ein auf ILO- und UN-Normen fußender, von NGOs entwickelter Kriterienkatalog für Social Accountability (SA), der härter ist als der von der EICC.
  • Selbstauskunft gegenüber TCO auf Basis eines Fragebogens (Version 6/2012).

Zweitens ist Voraussetzung, dass es dokumentierte, für TCO einsehbare Managementpraktiken gibt, die im Falle von Verstößen gegen die Kriterien einen Verbesserungsprozess anstoßen.

Drittens wird ein jährliches, unabhängiges Audit der Produktion des zu zertifizierenden Geräts gefordert, der stichpunktartig und auch unangemeldet geprüft wird. Das setzt voraus, dass TCO die Produktionsstätten kennt und diese für sie offen sind.

Testfall Samsung Galaxy S4

Die Liste der zertifizierten Produkte ist öffentlich. Es fällt auf: Samsung hat viele Notebooks zertifiziert und ist bei Tablets und Smartphones bislang überhaupt als einziger Hersteller vertreten.

Die Meldung „Samsung kommt als erstes mit einem fairen Smartphone – Galaxy S4“ war schon ein kleiner Schocker. „Fair“ trotz Gesundheitsprobleme in der Chipherstellung und der Entdeckung von Kinderarbeit bei Samsung-Zulieferen? Promt versammelte sich eine Reihe von NGOs und forderte TCO auf, die Zertifizierung wieder zurückzunehmen. Begründet wurde es mit dem von Samsung nie zugegebenen Krebs-Cluster, nicht aber mit dem Kinderarbeitsvorwurf.

TCO hat schnell mit einem Statement reagiert und klar gestellt, dass zum einen nicht der gesamte Hersteller, sondern nur die Herstellung eines speziellen Produktes zertifiert wird, dass zum anderen nun Mechanismen greifen, die Samsung zwingen eine Erklärung gegenüber TCO abzugeben und die Fertigungsstätten für TCO zu öffnen um die Zertifizierung zu behalten.

Inzwischen laufen Untersuchungen bei Samsung und Gespräche mit den NGOs. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Nochmal zur Liste der Hersteller der Produkte: Apple oder Nokia sind z.B. nicht vertreten. Zu Apple hieß es auf Nachfrage lediglich, dass man guter Dinge sei, dass Apple eines Tages die Kriterien erfülle. Gemeint könnten auch die Nicht-Sozial-Kriterien sein. (Ich kann mir gut vorstellen, dass sich Apple in ihrer Arroganz allerdings nie bewerben wird.)

Mein vorläufiges Fazit

Folgendes erscheint mir wichtig:

  1. Die Sozialkriterien müssen über das übliche Maß (EICC) hinaus gehen, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Das ist derzeit knapp der Fall, Frage ist, ob sie regelmäßig verschärft werden.
  2. Es müssen Markenfirmen gewonnen werden, die sich zertifizieren lassen, weil es ein Vorteil für sie ist. Die ersten sind gewonnen.
  3. TCO muss bei Verstößen angemessen reagieren, d.h. Verbesserung einfordern, überprüfen und ggf. das Label entziehen. Wir werden die Entwicklung in Sachen Galaxy S4 beobachten.
  4. Das Label muss zunehmend als Kaufkriterium Einzug halten. Interessant wären hier die öffentichen IT-Einkäufer in Behörden, Schulen und Universitäten, aber auch wir, die Privatkonsumenten.

Dies ist eine schwierige Gratwanderung. Unser Vertrauen hängt davon ab, ob dies gelingt. Wenn ja, dann ist ein ordentlicher Fortschritt gemacht, den wir Kunden und wir Zivilgesellschaft so nicht hinbekommen hätten.

Das Label könnte die Arbeit der Beschaffer in Behörden vereinfachen, weil diese nun ein leichtes Auswahlkriterium haben (TCO sichert ILO-Karnarbeitsnormen zu), wo sie früher wegen Arbeitsüberlastung Nachhaltigkeitskriterien eher nicht weiter nachgegangen sind. Die Östereichische IT-Beschaffung setzt TCO-Certified schon voraus. (Siehe dazu auch ein Artikel in der c’t.) In Deutschland wäre es aber laut eines Beschaffers nicht so einfach möglich, ein Label in die Ausschreibungsbedingungen zu setzen.

 

3 Gedanken zu „TCO – das lang ersehnte Fair-Label für IT-Produkte?

  1. Grundsätzlich finde ich es als Verbraucher immer gut, wenn gewisse Gütesiegel auf Produkten angebracht werden. Kann mich erinnern, dass auf meinen älteren Röhrenmonitoren die alten TCO-Schilder angebracht waren.
    Habe aber seit vielen Jahren keine mehr entdecken können …

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