Am 25. Mai stehen die Wahlen zum europäischen Parlament an. Wichtige Themen, die auf europäischer Ebene zu klären sind, gibt es genug – seien da das transatlantische Handelsabkommen TTIP, der Umgang mit Asylsuchenden, oder die Bewältigung der Folgen der Eurokrise. Was die Wahl für die Schaffung menschenwürdiger Bedingungen im Lebenszyklus von Elektronikprodukten bedeutet, soll in diesem Beitrag beleuchtet werden.
Kann die EU den Handel fairer machen?
Die EU-Politik spielt hier in der Tat eine wichtige Rolle, da sie zum Einen maßgeblich die Spielregeln für den Außenhandel bestimmt und zum Anderen europäische Firmen reguliert.
Konkret beobachten wir derzeit zwei laufende Gesetzgebungsverfahren. Eines davon befasst sich damit, dass europäische Firmen verpflichtet werden sollen, unter Anderem über menschenrechtliche, soziale und arbeitnehmerbezogene Risiken, die durch ihre Tätigkeit entstehen, sowie über die diesbezüglichen Firmenpolitiken zu berichten. Der Vorschlag wurde vor Kurzem vom Europäischen Parlament angenommen und hat damit gute Chancen, in der aktuellen Form zur Richtlinie zu werden. Mehr dazu wird es hier in den nächsten Wochen zu lesen geben.
Das andere für uns interessante Gesetzgebungsvorhaben möchte Konfliktmineralien regulieren und wurde hier im Blog schon vorgestellt. Es befindet sich noch in einem frühen Stadium, in dem Änderungsvorschläge zum ursprünglichen Entwurf der Europäischen Kommission ausgearbeitet werden.
EU-Gesetzgebung hat aus zwei Gründen eine hohe potenzielle Reichweite. Zum Einen aufgrund der schieren Größe des europäischen Binnenmarktes und der europäischen Wirtschaft, die dem EU-Recht unterliegen. Zum Anderen aufgrund der Verflechtung der globalen Wirtschaft, denn europäische Firmen kaufen Rohstoffe oder Vorprodukte oft im Ausland ein. Auf diesem Weg ist es prinzipiell möglich, den Wirkungsbereich europäischen Rechts über die EU hinaus auszudehnen und auch von Zulieferern menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu verlangen – also dort, wo über die allermeisten Missstände berichtet wird. EU-Politik kann also ein hochinteressantes Feld sein, wenn man sich für die Schaffung einer faireren Welt interessiert.
Was steht zur Wahl?
Demgegenüber steht, dass die erwähnten Themen eher ein Nebenschauplatz der EU-Politik sind und auch abseits einschlägiger NGOs nicht viel Medienaufmerksamkeit erfahren. Daher tut man sich schwer, eindeutige Standpunkte der einzelnen Parteien zu finden, welche sich im Wahlkampf eher auf die publikumswirksamen Themen konzentrieren. Nichtsdestotrotz möchte ich im Folgenden einen kurzen Blick in die Wahlprogramme einiger großer Parteien werfen und versuchen, Schlussfolgerungen über die Parteipositionen zu ziehen.
Dabei gebe ich ganz bewusst keine Wahlempfehlung ab. Erstens sind Wahlprogramme eine künstliche Außendarstellung, die nicht viel mit dem tatsächlichen Handeln nach der Wahl zu tun haben muss (das Wort Wahlversprechen ist nicht ohne Grund negativ konnotiert). Genauer einschätzen könnte man dieses durch eine Analyse des Verhaltens der einzelnen Abgeordneten in der Vergangenheit – diesen Rechercheaufwand konnte ich aber für diesen Artikel nicht leisten. Zweitens hat das Europäische Parlament keine Gesetzgebungsinitiative, sondern muss auf Gesetzesvorlagen der Kommission warten – in vielen Fällen ist es also gar nicht sicher, ob eine Partei überhaupt in die Situation kommt, eine Forderung aus dem Wahlprogramm umzusetzen. Wer weiß, dass er hinterher nichts einlösen muss, kann auch viel fordern. Und schließlich gibt es viele andere Themen, die die Wahlentscheidung ebenfalls beeinflussen sollten, und die jede Wählerin und jeder Wähler für sich festlegen muss.
Wie schätzt man die Position einer Partei zu einem Thema ein, zu dem im Wahlprogramm explizit nichts steht? Ich habe nach Aussagen zu drei Themenfeldern gesucht:
- Werden konkret Aussagen zur sozialen Unternehmensverantwortung, Konfliktmineralien, Rohstoffpolitik oder verwandten Feldern gemacht?
- Was für Positionen werden allgemein zu den Themen Außenhandel und Entwicklungspolitik bezogen?
- Wie sieht es mit Positionen zum Arbeitsrecht innerhalb der EU aus?
Das letzte Thema – EU-Arbeitsrecht – sollte man nicht überbewerten, da es im Gegensatz zur Handelspolitik nicht unbedingt zu den Kernaktivitäten der EU zählt. Zwar werden durchaus Aspekte wie Arbeitszeiten, Sicherheit und Diskriminierungsfreiheit reguliert, insgesamt sind die Kompetenzen der EU aber beschränkt. Dennoch habe ich es aufgenommen, da arbeitsrechtliche Missstände auch in der EU keine Seltenheit sind – auch wenn sie eher selten die Dimensionen erreichen, die uns aus typischen Elektronik-Zuliefererländern bekannt sind.
Ich beschränke meine Aufstellung hier auf die sechs deutschen Parteien, die derzeit im Europäischen Parlament vertreten sind: CDU, CSU, FDP, Grüne, Linke und SPD. Am Ende gibt es ein kleines Fazit. Wer ihre oder seine Lieblingspartei nicht darunter findet oder nicht in Deutschland wohnt, sollte keine Schwierigkeiten haben, die gleiche Übung selber nachzuvollziehen (gerne als Kommentar an diesen Artikel!).
Unter der Überschrift „Nachhaltige Entwicklung – globale Gerechtigkeit“ beschäftigt die CDU sich ausschließlich mit dem Thema Entwicklungshilfe: Sie soll weitestmöglich auf nationaler Ebene verbleiben und ihr Management in der EU soll effizienter werden. Außerdem möchte man die Entwicklungshilfe an Bedingungen knüpfen und dadurch Demokratie, Menschenrechte und die soziale Marktwirtschaft verbreiten. Mehr Einschlägiges findet sich im 84-seitigen Wahlprogramm der CDU nicht.
In ihrem Europaplan präsentiert die CSU im Broschürenformat ihre Kernthesen. Darunter sind nur wenige, die sich mit der Welt jenseits der EU-Grenzen beschäftigen: Man möchte keine weiteren Mitgliedsstaaten aufnehmen und dass „abgelehnte Asylbewerber schneller in die Herkunftsländer zurückgebracht werden“. Die CSU präsentiert sich nach innen gewandt, möchte der EU Kompetenzen entziehen und ein „Europa der Regionen“.
Eine interessante Aussage findet sich bei der FDP: „Wir werden uns dafür einsetzen, dass jeder Versuch mittels vergabefremder Kriterien sozial- oder umweltpolitische Wünsche durchzusetzen auf ein Minimum beschränkt bleibt.“ Das muss man als Kampfansage an die derzeitige Möglichkeit verstehen, soziale Aspekte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge mit einzubeziehen, also z.B. fair gehandelte Produkte zu bevorzugen.
Die FDP möchte weltweiten Freihandel und könnte sich im Zuge der Entwicklungszusammenarbeit
auch ein Freihandelsabkommen mit den am wenigsten entwickelten Ländern Afrikas vorstellen, die bei besonderer Produktkennzeichnung auch die strengen Umwelt- und sonstigen Einfuhrvorschriften unterschreiten dürfen.
Eine typische Position im Sinne des fairen Handels wäre, die benannten Einfuhrvorschriften zu Gunsten besserer sozialer Bedingungen zu verschärfen. Das wäre mit der FDP offensichtlich nicht drin.
Die FDP bleibt also keinesfalls unkonkret, sondern möchte die wenigen Mittel, die die EU-Gesetze bislang zur Förderung fairen Handels bieten, sogar aktiv beschneiden.
Das Wahlprogramm der Grünen erwähnt als Einziges konkret die oben erwähnten Gesetzgebungsvorhaben. Daraus möchte ich zwei längere Ausschnitte zitieren:
Menschenrechtsverletzungen, die von Unternehmen begangen werden – etwa durch ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, massive Umweltzerstörungen oder Zusammenarbeit mit menschenrechtsverletzenden Regimen, haben oft keine rechtlichen Konsequenzen. Die EU-Kommission setzt allein auf freiwillige Selbst- oder Scheinverpflichtungen; das reicht nicht. So werden auch die Wettbewerbsbedingungen zum Nachteil fairer Unternehmen verzerrt. Notwendig sind daher verbindliche Standards, neue Haftungsregelungen und bessere Klagemöglichkeiten in der EU, auch für Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen, die von europäischen Unternehmen verursacht wurden. Hierfür wollen wir das europäische Zivil(verfahrens)recht überarbeiten, um Entschädigungen für Menschenrechtsverletzungen einklagbar zu machen. Wir wollen Unternehmen gesetzlich verpflichten, Transparenz in Bezug auf ihre Lieferketten zu schaffen, und unterstützen die jüngsten Bemühungen auf EU-Ebene, insbesondere des Europäischen Parlaments, die sozialen, ökologischen sowie ihre ArbeitnehmerInnen betreffenden Offenlegungspflichten für international tätige Großunternehmen zu verschärfen. Zudem wollen wir den Zugang von Fair-Trade-Produkten zum EU-Markt fördern und einer fairen und ökologischen Beschaffung den Vorrang geben.
[…]
Wir treten ein für faire Rohstoffpartnerschaften und eine deutliche Einsparung des Rohstoffverbrauchs sowie für eine effiziente und nachhaltige Nutzung bei uns in Europa. Darüber hinaus setzen wir uns für verbindliche soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards bei Abbau, Weiterverarbeitung und Handel von Rohstoffen ein und fordern transparente Verfahren, die auch gegen Korruption und Steuerflucht wirken. Die in der EU maßgeblich von uns GRÜNEN auf den Weg gebrachten Offenlegungspflichten für Unternehmen im Rohstoffbereich müssen auf alle Geschäftsbereiche ausgedehnt und um Kriterien für den Nachweis von Konfliktmineralien ergänzt werden.
Diese Abschnitte enthalten einen ganzen Strauß von Forderungen, die in ähnlicher Form auch von einer NGO oder in diesem Blog vertreten werden könnten. Weniger klar ist natürlich, wie realistisch durchsetzbar diese Forderungen sind. Innerhalb der EU möchten die Grünen unter Anderem die Höchstarbeitszeit reduzieren.
Vom Inhaltlichen mal abgesehen ist es nicht ganz so verwunderlich, dass sich gerade bei den Grünen die explizitesten Aussagen finden, denn ihr Wahlprogramm ist mit knapp 120 Seiten Inhalt sehr umfangreich.
Auch die Linke möchte kürzere Arbeitszeiten und weniger prekäre Arbeit – innerhalb der EU. Davon abgesehen findet sich im Wahlprogramm eine Position zu Rohstoffen und Konfliktmineralien:
Wir wollen verbindliche ökologische und soziale Standards für den Abbau von Rohstoffen. Unternehmen müssen für die Folgen ihrer Geschäftstätigkeit international zur Verantwortung gezogen werden können. Der Import von Konfliktressourcen muss unterbunden werden.
Die SPD setzt auf ein sparsames Wahlprogramm. Besonders bemerkenswert scheint, was dort unter der Überschrift „Fairer Handel“ steht:
Eine Handelsliberalisierung darf aber nicht zum Absinken unserer rechtsstaatlichen, sozialen, ökologischen oder Standards beim Verbraucherschutz führen. […] Unser Ziel bei diesen [Verhandlungen über TTIP] und anderen Verhandlungen ist es, möglichst fortschrittliche arbeitsrechtliche, soziale und ökologische Standards in den bilateralen und internationalen Handelsbeziehungen zu verankern.
Ob es sich hier nur um eine unglückliche Formulierung handelt, oder ob der SPD die sozialen, ökologischen etc. Standards außerhalb der EU tatsächlich egal sind, mag ich aufgrund des Zitats nicht entscheiden – man kann das aber überzeugender und vor allem konkreter formulieren.
Zum Thema Arbeitsrecht finden sich z.B. Forderungen nach Mindestlöhnen und nach einer Verankerung der Tarifautonomie in europäischem Recht.
Fazit
Alles in allem ist der Blick in die Wahlprogramme überraschend aufschlussreich, da man deutliche Unterschiede zwischen den Parteien ausmachen kann – insbesondere dadurch, welche Themen nicht erwähnt werden. Auch wenn ihr Wahlprogramm einen gewissen Wünsch-dir-was-Charakter hat, positionieren sich die Grünen als am deutlichsten und konkretesten dafür, dass Unternehmen Verantwortung für die sozialen Bedingungen in ihrer Lieferkette übernehmen. Die Linke formuliert eine in der Richtung eindeutige, aber knappe und wenig konkrete Position. Die FDP positioniert sich entschlossen auf der anderen Seite der Barrikaden. Von den anderen Parteien liest man wenig bis nichts zum Thema, wobei die SPD immerhin einige progressive Forderungen im Arbeitnehmerrecht stellt.
Was man aus diesen Erkenntnissen nun macht, hängt wohl davon ab, wie zynisch man dem EU-Betrieb insgesamt gegenüber steht. Im Zweifel bestimmt die Wahl jedoch die Mehrheitsverhältnisse im Parlament, die darüber entscheiden, welche der teils sehr sinnvollen Änderungen einer Gesetzesvorlage es in das finale Gesetz schaffen.
Interessant wäre es doch mal zu wissen, wonach du diese Parteienauswahl triffst. Die ist schon arg kritikwürdig…
Und dann tauchen da Aussagen wie bei der CDU auf, wie „nichts im Programm zu finden“. Da hab ich ehrlich gesagt aufgehört zu lesen (außer die Parteinamen nochmal zu überfliegen).
Wenn das ganze wirtschaftliche Gebaren und damit auch das Parteiprogramm darauf ausgerichtet, dass Dtl/Europa *ständiges Wachstum* erfährt, dann ist das sowohl ein soziale Aussage als auch eine zu sozialer Verantwortung. Blöderweise ist der Planet nämlich überall begrenzt (von Einsteins Zitat abgesehen) und damit das Wachstum des einen eine Einschränkung des anderen. Gleichzeitig: Wenn „Wachstum“ Priorität hat, dann haben andere Dinge halt keine Priorität. Und soziale Verantwortung, fairer Rohstoffabbau/Handel etc. sind dann nunmal diese anderen Dinge…
Hallo Björn,
ich habe versucht, deutlich zu machen, warum ich gerade diese Parteien auswähle und nach welchen Kriterien ich die Programme auswerte. Die Parteien sind schlicht diejenigen, die derzeit im EP vertreten sind. Klar, dabei fehlen auch einige Parteien, die ich persönlich interessant gefunden hätte. Aber noch schwieriger hätte ich es gefunden, nur einige der vielen weiteren Parteien zu berücksichtigen und andere nicht.
Ich habe auch klar beschrieben, dass ich nach einigen relativ eng umrissenen Themenfeldern suche. Vielleicht sollte ich dabei noch einmal meine Motivation erklären. Du hättest gerne mehr Kritik an der Wachstumsideologie gehabt, aber ich wollte mich möglichst konkret auf den gemeinsamen Nenner dieses Blogs beziehen, nämlich die Schaffung besserer Bedingungen im Lebenszyklus von Elektronikprodukten. Analysen von anderen Standpunkten aus kann man hoffentlich auf anderen Kanälen genug finden. Das schließt natürlich nicht aus, dass z.B. eine Abkehr von einem wachstumsbasierten Wirtschaftssystem nicht auch die Lebensbedingungen aller Menschen verbessern könnte (und somit, als Teilmenge, auch der in der Elektronikbranche Beschäftigten) – damit mache ich aber eine sehr große Büchse auf (dann müsste ich nämlich auch erklären, was ich für die bessere Alternative halte und warum, außerdem könnte man dann mit gleicher Berechtigung auch noch viele andere Themen anschneiden) und das ist hier und in diesem Zusammenhang schlicht nicht mein Thema.
Was ich vielleicht etwas deutlicher hätte sagen können: Wenn ich schreibe, dass ich zu einem Thema keine expliziten Aussagen gefunden habe, dann ist dies für mich ein eindeutig negatives Merkmal. Denn wie du völlig richtig auch andeutest – da man in Wahlprogrammen alles sagen kann, sind die Auslassungen am Vielsagendsten. Ich hatte jetzt nicht das Bedürfnis, noch darüber hinaus auf den betreffenden Parteien herumzuhacken.
Ich hoffe, damit habe ich die Intention des Artikels ein bisschen klarer gemacht.
Die letzten Nachrichten zu dem Thema: „Bis Ende 2015 soll 80 Prozent der Produktion von Konfliktmineralien von deutscher Seite zertifiziert sein. Damit könnten deutsche Unternehmen die Vorgaben des Dodd-Frank-Acts erfüllen, wenn sie Konfliktmineralien aus solchen Minen einkaufen.“ Quelle: http://www.marktundmittelstand.de/nachrichten/produktion-technologie/dodd-frank-act-zinn-mine-im-kongo-zertifiziert/
Danke für die Zusammenstellung und die Mühe einmal die Programme auf den Aspekt Fair Trade hin durchzuschauen. Ich finde eigentlich auch die Einordnung recht ausgewogen, dass die Durchsicht der Programme nur ein begrenzte Aussagekraft hat.
Ich nehme auf jeden Fall ein paar Aspekte aus dem Artikel mit. Gerade die FDP ist einfach unverantwortlich.