Grün? Fair? Wir sollten als kritische Menschen bestimmte Themen zwar getrennt betrachten, jedoch nicht als getrennte sehen. Vor ein paar Tagen erschien ein reich bebilderter, eindrücklich geschriebener Artikel auf BBC-Future über die Naturzerstörung durch die weltweite Gier nach technischen Spielereien.
Der Autor besichtigte zusammen mit der Gestalter-Gruppe »Unknown Fields Division« die größte industrielle Siedlung in der Inneren Mongolei, Baotou (Buɣutu). Die weltweit größten Vorräte an Metallen der Seltenen Erden finden sich genau dort — also genau die Elemente, die der moderne Mensch so dringend für seine elektronischen Gadgets wie Tablets, Smartphones und dergleichen benötigt.
In der Folge wurden gigantische Förderungs- und Raffinerie-Anlagen errichtet, um die wertvollen Ressourcen zu erschließen. Wo auch immer der Besucher hinblicke, schreibt Tim Maughan, überall sehe er halbfertige Hochhäuser und Parkplätze, einen Wald an flammenzüngelnden Raffinerie-Türmen und nicht enden wollende Stromtrassen. In den Straßen sei die Luft von Schwefel erfüllt:
Everywhere you look, between the half-completed tower blocks and hastily thrown up multi-storey parking lots, is a forest of flame-tipped refinery towers and endless electricity pylons. The air is filled with a constant, ambient, smell of sulphur. It’s the kind of industrial landscape that America and Europe has largely forgotten – at one time parts of Detroit or Sheffield must have looked and smelled like this.
Angesichts dieser massiven Umweltzerstörungen sollte einem sofort klar sein: Auch dies ist ein Anspekt der sozialen Unverträglichkeit. Nicht nur ausgebeutete Arbeiter ohne Schutzkleidung, die sich übermüdet vom Zehn-Bett-Zimmer zur Elektronik-Fabrik schleppen – schlimm genug –, sondern auch und gerade die Anwohner eines solchen Fabrik-Komplexes sollten bei der notwendigen Beschäftigung mit fairen Computern in den Blick genommen werden.
Wenn es dem Reporter »unmöglich ist, zu sagen, wo die weitläufigen Gebäudekomplexe der Baogang-Raffinerie aufhören und wo die Stadt [Baotou] anfängt«, dann zeigt das auf ein Eindämmungsproblem. Ganze Regionen der Erde verwandeln sich in die hässliche Kehrseite der schönen neuen Digitalwelt. Wenn auf IT-Fachmessen wie der Hannover-Messe von »Industrie 4.0« gesprochen wird, so sollte man dies nicht als Modewort abtun, sondern als Warnung begreifen: Die »Industrie 1.0« war vielleicht nicht allein, aber sicher nicht zuletzt für die entstehende Armut eines großen Teils der Arbeiterschaft und der Landbevölkerung verantwortlich. Bequemerweise zeigt sich der »Pauperismus 4.0« jedoch nicht hierzulande, sondern weit ab der social media sphere.
In diesem Jahr 2015 läuft eine von uns selbst gesetzte Frist ab: Die acht Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die so genannten Millennium Development Goals sollten substantiell bis zum Jahresende erfüllt werden. Selbst die optimistischsten Technik-Liebhaber müssen sich eingestehen, dass die gesamten Protagonisten der so genannten »Industrie 4.0« keines der Ziele angegangen sind – zumindest nicht in den ärmsten Regionen der Welt. Im Gegenteil, die Möglichkeit zur Selbsthilfe wurde und wird systematisch untergraben. Fruchtbares Ackerland, das seltene Erden trägt und in der Folge durch gigantische Giftgewässer landwirtschaftlich unbrauchbar wurde, kann schlicht und ergreifend nicht mehr dem ersten, vierten, fünften oder siebten Milleniumsziel dienen.
Allenfalls bei dem niemals abgeschlossenen Projekt der Aufklärung kann Technik ein wenig helfen: Das Wagnis, zu wissen, sind die Leserinnen und Leser dieses Blogs ja bereits eingegangen. Wir würden uns über Lesehinweise zu anderen Reportagen, Bildern oder Videos freuen. Nutzt einfach die Kommentarspalte oder die euch bekannten E-Mail-Adressen.
»After seeing the impact of rare earth mining myself, it’s impossible to view the gadgets I use everyday in the same way.« – Tim Maughan: The dystopian lake filled by the world’s tech lust. Veröffentlicht am 2. April 2015 auf BBC-Future. Archiviert unter https://archive.today/IVvJ4
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Ein verbreitetes Argument lautet ja, mit dem Rohstoffabbau werde Wohlstand in eine Region gebracht. Aber damit einher gehen oft auch Umweltzerstörung und gesundheitliche Schäden, und eben Armut und prekäre Verhältnisse. Deshalb finde ich Rohstoffrecycling sehr wichtig.