Der Dodd-Frank-Act 1502 verlangt von US-Börsennotierten Firmen die Herkunft ausgewählter Rohstoffe offen zu legen. Sobald eine Firma als Herkunftsland die Demokratische Republik Kongo oder eines der Nachbarländer angibt, sind Nachweise erforderlich, die belegen sollen, dass diese Materialien nicht für die Finanzierung bewaffneter Konflikte missbraucht wurden. Dabei ist die IT-Industrie besonders betroffen, denn alle der vier so genannten Konfliktmetalle Zinn, Tantal, Wolfram und Gold (auch 3TG genannt) kommen in modernen Elektronikgeräten vor.
Dieses Gesetz wirkte zunächst wie ein Embargo, weil sich die Hersteller die Mineralien in Folge aus anderen Gegenden besorgt haben. Dennoch will die EU nun eine eigene, ähnliche Richtlinie verabschieden, „on responsible sourcing of minerals originating from conflict-affected and high-risk areas“, wobei die Lehren aus 1502 einfließen sollen.
Andreas Manhart ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Öko-Institut und beschäftigt sich mit der Frage, wie Sozial- und Umweltstandards auch in weit verzweigten und globalisierten Produktionsketten sichergestellt werden können. In der Vergangenheit hat er u.a. zu der Fairness in der IT-Produktion gearbeitet. Vor wenigen Wochen hat er zusammen mit dem Kollegen Tobias Schleicher die viel beachtete Studie „Conflict minerals – An evaluation of the Dodd-Frank Act and other resource-related measures“ veröffentlicht.
Wir sprachen mit ihm über die Konsequenzen daraus.
Faire Computer: Herr Manhart, die von Ihnen mitverfasste Studie ist sehr kritisch gegenüber dem Dodd-Frank-Act 1502, der in den U.S.A. vor allem durch zivilgesellschaftliche Organisationen vorangetrieben wurde. War hier „gut gemeint“ das Gegenteil von gut?
Andreas Manhart: Der Dodd-Frank Act hat vieles bewirkt, dass wollen wir den USA gar nicht abstreiten. Aber letztendlich zeigt sich auch, dass es zu unerwünschten Nebeneffekten gekommen ist, die man nicht ignorieren darf. So haben die Auflagen eine stark abschreckende Wirkung für alle, die Erze aus dem Kongo beziehen wollen – selbst wenn die Förderung unter verantwortungsvollen Rahmenbedingungen geschieht.
Zwar fordern Sie Verbesserungen und weniger aufwändige Prozesse, Sie lehnen in Ihren Empfehlungen eine EU-Regelung zur Offenlegung von Rohstoffgeschäften aus Risiko- und Konfliktgebieten aber nicht grundsätzlich ab. Glauben Sie, dass der Auftraggeber der Studie, der BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.), Ihre Empfehlungen übernehmen wird? Bislang lehnte er eine Regulierung dieser Art immer ab.
Zuallererst fordern wir – wie Sie ja sagen – keine grundsätzliche Abkehr vom Transparenzgedanken. Man sollte aber nicht glauben, dass ein positiver Zusammenhang zwischen möglichst ambitionierten Berichtspflichten und der Verbesserung der Situation vor-Ort bestünde. Es gilt, eine ausgewogene Balance zwischen Transparenzanforderungen und verantwortungsvollem Direktengagement vor Ort zu finden.
Als Öko-Institut können wir natürlich nicht für die Industrie sprechen. Wir hatten aber in unserer Arbeit mit dem BDI sowie auch mit vielen Leuten in Unternehmen den Eindruck, dass das Problem nicht ignoriert wird. Wir sehen auf Seiten der Industrie auf alle Fälle Gesprächsbereitschaft und das Interesse zur Suche eines tragfähigen europäischen Lösungsbeitrages. Letztendlich hängen aber die Richtungsentscheidungen für einen europäischen Beitrag nicht alleine von der Industrie ab, sondern ebenso von der EU Kommission, dem Parlament sowie vom Einfluss der Nichtregierungsorganisationen. Letztendlich sind wir der Überzeugung, dass es nun zeitnah einen Dialogprozess geben sollte, der die verschiedenen Vorschläge ergebnisoffen diskutiert. Dabei sollten natürlich auch kongolesische Stimmen nicht fehlen.
Können Sie kurz erzählen, wie die Zertifizierung konfliktfreier Rohstoffquellen in der Praxis abläuft? Ist es vertrauenswürdig?
Fast alle Industriezweige sehen die Schmelzen und Raffinerien als Schlüssel zum Erfolg. Hier gibt es verschiedene Programme, die mit Hilfe von Auditierungen einen Nachweis ausstellen, dass ein Schmelzbetrieb garantiert „konfliktfrei“ ist. Die Schmelzen müssen für alle ihre Lieferungen im zurückliegenden Jahr die genaue Herkunft nachweisen. Das Problem ist, dass fast alle als „konfliktfrei“ gelisteten Schmelzen de facto „Kongo-frei“ sind, ihren Status also dadurch erreichen, dass sie gar nicht mehr aus der Region beziehen. Aus meiner Sicht führt man hier einen eigentlich guten Gedanken ad absurdum: Man steckt unglaublich viel Geld in Zertifizierung „konfliktfreier“ Lieferketten, dieses Geld wird aber überhaupt nicht für die Lösung der Problemen vor Ort verwendet. Hauptprofiteure sind derzeit die großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen, die sehr viel Geld mit der Nachweisführung verdienen.
Und dann kommt noch hinzu, dass die Rohstoffe aus dem Kongo dann doch über dunkle Kanäle auf den Weltmarkt kommen. Und ein Hersteller eines sehr komplexen Produkts kann sich letztendlich doch nicht sicher sein, ob die vielen tausend Papiernachweise für alle Einzelteile wirklich der Realität entsprechen.
Gilt dies auch für die Vorzeigeprojekte, “Solutions for Hope” für Tantal und “Conflict Free Tin Initiative” für Zinn?
Nein, bei diesen beiden Projekten kann man sich tatsächlich sicher sein, dass sie nicht im Zusammenhang mit Konflikten stehen. Das Problem besteht eher darin, dass es unter den vielen Akteuren in komplexen Lieferketten immer auch schwarze Schafe zu finden sind, die Zertifikate und Herkunftsangaben bewusst fälschen. Leider kann man solche Betrüger analytisch nicht überführen, denn die existierenden Labormethoden sind nur im Bereich der Erze und Konzentrate anwendbar – nicht bei standardisierten Metallen und Legierungen.
Es gibt viele Gegenden wo Tantal- und Zinnerze abgebaut werden, auch weniger risikoreiche wie Brasilien oder Australien. Warum werden dennoch Rohstoffe aus der D.R. Kongo bezogen, warum machen sich die Firmen sogar die Mühe, einen konfliktfreien Zugang zu schaffen? Da scheint doch ein ökonomischer Vorteil zu liegen.
Offiziell werden aus dem Kongo nur sehr kleine Mengen an Konfliktrohstoffen ausgeführt. Hier wird die Wahrnehmung noch oft von der Situation vergangener Jahre geprägt, als z.B. Australien vorübergehend kein Tantal mehr produziert hat und der Kongo diese Lücke aufgefüllt hat. Aber natürlich spielt der Schmuggel über die Nachbarländer eine wichtige Rolle. Gerade Gold lässt sich wegen seines hohen Materialwerts und der Tatsache, dass es vielerorts als Zahlungsmittel akzeptiert ist, sehr leicht schmuggeln. Bei den Industrierohstoffen – insbesondere Tantal und Zinn – hat der Kongo zwar durchaus große Vorkommen, diese werden aber derzeit nur oberflächlich angekratzt. Es ist nicht so, dass die wenigen Projekte der westlichen Industrie im Kongo große Mengen fördern würden. Die Hauptmotivation der Unternehmen die an den Projekten „Solutions for Hope“ und Conflict Free Tin Initiative“ beteiligt sind, liegt derzeit wohl eher im Imagegewinn. Für ein größeres Engagement ist die Region für verantwortungsvolle Investoren einfach zu riskant. Diese Lücke füllen derzeit dubiose Händler und „Abenteurer“.
Wen meinen Sie?
Dies sind in der Regel Geschäftsleute, die die hohen Risiken nicht scheuen, dafür aber auch keinerlei Investitionen tätigen. Sie agieren nach der Formel high risks, high profits, no standards. Oft sitzen diese Akteure auch gar nicht im Kongo selbst, sondern irgendwo in der Schmuggelkette über Nachbarländer in den Mittleren Osten oder nach Asien. Leider wird man diese Spezies weder mit dem Dodd-Frank Act, noch mit einer europäischen Regulierung vollständig verbannen können. Man darf solche Akteure nicht mit seriös arbeitenden Firmen gleich setzen.
Die EU will in Ihrem Richtlinienvorschlag vom Kongo und den 3TG-Rohstoffen abstrahieren und allgemein riskante Rohstoffgeschäfte regulieren. Kennen Sie andere Risiko- und Konfliktgebiete als den Kongo und seine Nachbarländer, die für die IT-Industrie wichtige Rohstoffe liefern?
Ich halte es für gut, wenn der EU Vorschlag einen offenen Rahmen setzt, in dem sich auch andere Rohstoffkonflikte integrieren lassen. Es ist sicherlich so, dass Rohstoffe in vielen Konflikten eine Rolle spielen. Insbesondere wird immer wieder die FARC in Kolumbien genannt, die sich ebenfalls teilweise über den Goldabbau und Handel finanziert. Und auch bei Edelsteinen und fossilen Energieträgern liegt einiges im Argen.
Allerdings müssen wir auch sehen, dass der Osten der Demokratischen Republik Kongo derzeit eine Sonderrolle einnimmt. Nirgends auf der Welt sind bewaffnete Konflikte dieser Größenordnung so eng mit der Ausbeutung von Erzen und Metallen verknüpft. Und vor allem ist dieser Zusammenhang sehr gut und lückenlos dokumentiert. Denn für den Kongo erhält die Welt nun seit über 10 Jahren alle sechs Monate Bericht einer UN Expertengruppe. Und diese Berichte gehen jedes Mal auf den Rohstoffabbau und dessen Verwickelung in die dortigen Konflikte ein.
NGOs aus Europa verlangen in einer Stellungnahme an die EU regelmäßige Audits, Öffentlichkeit der Risikoprüfungen und Sanktionen bei Missachtung. Sehen Sie das auch als essentiell für das Funktionieren einer Gesetzgebung an?
Transparenz ist in jedem Fall wichtig, hier stimmen wir mit vielen NGOs überein. Allerdings sehe ich die Forderung nach möglichst strengen Nachweispflichten in diesem Fall kritisch. Hier kann man die Abschreckende Wirkung für Regionen wie dem Kongo nicht einfach ignorieren. Man muss letztendlich auch eine Gesamtstrategie für die Befriedung aufweisen und dabei ist wirtschaftliche Entwicklung – natürlich in einem verantwortungsvollen Rahmen – unbedingt notwendig. Und Bergbau ist in vielen Teilen des Kongos letztendlich die einzige Beschäftigungsmöglichkeit neben der Landwirtschaft. Von was sollen denn die vielen tausend Kämpfer leben nachdem sie ihre Kalaschnikow abgegeben haben? Ein Boykott mag in heißen Konfliktphasen ein gutes Mittel sein, nicht aber in einer sich langsam stabilisierenden Situation. Und insbesondere in Randbereichen der Konfliktregion im Osten des Landes hat es in den letzten Monaten und Jahren deutliche Fortschritte gegeben.
Deshalb sind wir der Meinung, dass man neben den Nachweispflichten auch Positivanreize für verantwortungsvolles Engagement im Bergbau des Kongos schaffen muss. Zudem sollte man auch die Angebote der Industrie ernst nehmen. Bei einer vernünftigen Einbindung der Industrie wäre es aus meiner Sicht durchaus denkbar, dass diese in substanzieller Weise Vor-Ort Projekte unterstützt und vorantreibt.
Was sind Ihre wichtigsten drei Empfehlungen an die EU-Gesetzgebung?
Zuallererst begrüßen wir die EU Initiative zu Konfliktrohstoffen. Das ist ein lange überfälliger Schritt. Insofern wollen wir die EU Kommission ermutigen, den eingeschlagenen Weg auch gegen Widerstände fort zu setzen.
In der konkreten Ausgestaltung halten wir es für sehr wichtig, eine Balance zwischen Transparenzanforderungen und Anreize für verantwortungsvollen Bergbau vor-Ort zu finden. Wenn wir all unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, dass ja keine Konfliktrohstoffe mehr in unsere Produkte gelangen, dann erlangen wir vielleicht ein reines Gewissen, nützen tut es aber zuallererst einmal den global tätigen Wirtschaftsprüfungsunternehmen die viel Geld mit der Nachweisführung verdienen.
Zudem würden wir es begrüßen, wenn die Angebote der Industrie zumindest gehört werden würden. Das sollte nicht im Hinterzimmer geschehen, sondern unter Einbezug von NGOs, den kirchlichen Hilfswerken und auch Akteuren aus der Region.
Zudem denke ich, dass sich bei diesem Thema viele Akteure von alten Denkmustern verabschieden müssen. So ist das oft kommunizierte Täter-Opfer-Schema (z.B. „…die Industrie ist an einer Fortsetzung des Konfliktes interessiert um an billige Rohstoffe zu gelangen…“) am Beispiel des Kongos einfach nicht haltbar. Umgekehrt muss natürlich auch stärker anerkannt werden, dass viele NGOs schon seit langer Zeit auf das Thema hinweisen und bislang nur wenig Gehör gefunden haben.