Das was wir Schrott nennen ist des anderen Nutz. Recycling ist nur die zweitschlechteste Lösung. Es mag verwerflich klingen, unseren Elektroschrott in Entwicklungs- und Schwellenländer zu exportieren, weil dort im informellen Recycling viele wertvolle Stoffe verloren gehen, die Umwelt ruiniert wird und sich Kinder vergiften. Es ist aber schlicht falsch, dass unser Export direkt auf deren Müllhalden landet. Wir aus den Industrienationen sind zu dekadent für’s Reparieren, Aufrüsten und Wiederverwenden, daher sollten wir es den Profis überlassen. Und die sitzen zum Beispiel in Accra, Ghana.
Die Folklore
Es gibt sehr viele Dokumentationen zum Thema Elektroschrott und dessen illegalen Exports, auch einige wirklich gut anzusehende. Die Story die dort erzählt wird ist letztlich immer die gleiche und die geht wie folgt (Klick auf die Bilder führt zur genannten Doku):
Das ist mein alter Computer, den brauche ich nicht mehr und auch niemand den ich kenne. Wer will schon fette Bildröhre und Pentium 4?
Da ich in Hamburg wohne kann ich einfach in die hiesige Billstraße fahren und direkt an der Straße das Teil verkaufen. Gibt’s in anderen Städten auch. Statt in der Schlange beim Recyclinghof zu stehen, was ich rechtlich eigentlich tun müsste, bekomme ich hier sogar noch ein paar Euro für meinen Schrott.
Der Händler packt den Rechner mit vielen anderen in einen Container, welcher mit vielen anderen verschifft wird. Weg ist das Zeug aus Deutschland und landet…
…zum Beispiel in Afrika. Hier ist der Hafen von Accra, Ghana, zu sehen in dem – so behaupten die Dokus – jährlich tausende Elektroschrottcontainer landen.
Dort kommen die Altgeräte dann zu einer Halde namens Agbogbloshie, wo die Reste unter anderem mit offenem Feuer bearbeitet werden, um z.B. an das Kupfer zu kommen.
Der Rest bleibt dann dort einfach liegen. „Sodom und Gomorra“ wird die Gegend in diesen Dokus gerne genannt, angeblich die „größte Elektroschrotthalde der Welt“.
So wie gesagt läuft die übliche Elektroschrott-Erzählung. Agbogbloshie wird von westlichen Fotojournalisten und Künstlern gerne besucht, es gibt viele Bilderstrecken, zum Beispiel hier, hier und hier.
Der Hoax
Journalisten brauchen ihre Story. Daher ist es wichtig zu verstehen, dass sie an einer entscheidenden Stelle falsch erzählt wird. Denn der Monitor im letzten Bild kommt höchstwahrscheinlich gar nicht direkt aus einem importierten Container.
Es gibt wenige detaillierte Untersuchungen über die Materialströme importierter Elektrogeräte in Ghana, aber die sprechen eine klare Sprache:
- 70 % des Elektrogeräte-Imports ist Second-Hand-Ware, also tatsächlich nicht neu.
- 65 % davon werden direkt weiterverkauft, weil sie noch nutzbar sind.
- 20% davon werden repariert und danach weiterverkauft.
- 15% bleiben für Ersatzteile oder landen im Recycling.
Mehr als 85% des 2nd-Hand-Imports landet also nicht auf der Müllhalde, sondern wird wiederverwendet.
Quelle: Amoyaw-Osei Y u.a.: Ghana e-Waste Country Assessment, Secretariat of the Basel Convention, März 2011
Was wir in den Filmen über Agbogbloshie sehen ist also vor allem Schrott aus Ghana selbst, nicht aus Europa oder anderswo her. Die meisten Geräte hatten vorher ein zweites Leben bekommen, es gibt lediglich 15% unerwünschten Beifang.
Was unbestritten ist: Ein ordentliches Recycling der irgendwann auf jeden Fall kaputt gehenden Geräte gibt es in schwach industrialisierten Ländern wie Ghana praktisch nicht.
Die Freaks
Die importierten Elektrogeräte finden in Accra Abnehmer, aber nicht in Agbogbloshie, sondern am Hafen, der am anderen Ende der Stadt liegt. Entweder wird direkt vom Container ungetestet verkauft oder jemand holt seinen Container ab, gepackt und vorsortiert z.B. in Hamburg, dann versendet durch einen Kollegen.
Manche Geräte müssen nur ein wenig aufbereitet werden.
Manche Geräte müssen repariert werden.
Manchmal wird aus zweiten einer gemacht oder gar aus Ersatzteilen ein neues Gerät hergestellt.
Weil es ein Geschäft ist, sind die Menschen in Ghana sehr aktiv in dieser Sache. Bei uns interessiert sich niemand für diese Altgeräte, wir schmeißen sie weg.
Auch in Accra selbst werden nicht mehr gebrauchte Geräte gesammelt:
Dazu die nächsten Zahlen:
- Die Sammelrate für Altgeräte aus Ghana liegt bei 95%. In Europa schafft man kaum 50%.
- 55% der Geräte, die in Ghana gesammelt werden, werden nochmal repariert. Viele Geräte bekommen so ein Drittes Leben.
Was unbestritten ist: Das Recycling der verbleibenden 45% können die Industrienationen besser.
Das Informelle
Beim Recycling z.B. eines Computers werden die Geräte zunächst manuell zerlegt.
Dabei geht es vor allem um die gut wieder verkaufbaren Metallteile.
Die informelle Ausschlachtung des Rests läuft dann aber eher primitiv, in Ermangelung von Kontrollen und technischen Alternativen.
Mit dem Rest versuchen die ganz Armen um die Runden zu kommen.
Was unbestritten ist: Das ist nicht sauber.
Warum E-Schrott-Export gut ist
Die folgenden Aspekte sollte man nicht missachten:
- 14.000 – 24.000 Menschen leben in Ghana vom Wiederaufbereiten, Reparieren und neu Zusammenbauen von Elektrogeräten. Die Arbeitsplätze sind ….
- 6.300 – 9.600 Menschen leben vom Recycling, meist dem informellen Recycling allerdings und damit weiterhin in Armut und unter gefährlichen Arbeitsbedingungen. Oft sind es Bevölkerungsgruppen aus dem Norden des Landes. Sie ziehen diese ungesunde Arbeit einem landwirtschaftlichen Leben vor, weil es ein zuverlässigeres Einkommen ermöglicht.
Auch nicht unterschätzen sollte man, dass der Import gebrauchter Elektrogeräte in Ghana den Zugang zu z.B. Computern überhaupt erst ermöglicht, denn eine eigene Elektroindustrie gibt es nicht und Neugeräte sind – auch für Behörden und Schulen – zu teuer. Unser Schrott ist hier Good Enough.
Export ist Upcycling
Die Definition von Elektroschrott ist „alles was der Besitzer nicht mehr nutzen möchte“. Das ist bei uns im globalen Norden recht schnell der Fall. Wir bringen das Altgerät dann zum Recycling. Das sehr aufwändige Recycling ergibt Sekundärrohstoffe, aus denen ebenfalls sehr aufwändig neue Geräte hergestellt werden.
Dass das Wahnsinn ist haben auch wir inzwischen verstanden. Initiativen wie Repair-Cafés sind groß im Kommen. Das ist nett, aber Kinderkram im Vergleich zu dem was bei einem Export von Altgeräten in den globalen Süden geschieht, wie gezeigt. Export ist Upcycling, Recycling ist Downcycling. Also: EEE!
Best of two worlds
Was unbestritten ist: Wir können nicht ignorieren, dass früher oder später alle Geräte zu Schrott werden, und dass die Verwertung z.B. in Ghana nicht gut läuft. Das manuelle Auseinanderbauen der Geräte geht in seiner Gründlichkeit über das in unseren Recyclingstätten grobe Zerpflücken und dann Schreddern hinaus, danach aber fehlt in Ghana das industrielle Recycling. Deshalb wurde ein Best-of-two-worlds-Ansatz vorgeschlagen: Der Nun-wirklich-Schrott kommt vorsortiert wieder zurück nach Europa, USA, etc. und wird dort sachgemäß recycelt. So funktioniert Entwicklungszusammenarbeit.
Klingt verrückt, soll sich aber rechnen und wird schon unternommen, z.B. beim Recycling von Batterien. Es gibt auch Sozialunternehmen, die so etwas unterstützen, Worldloop etwa oder das von Fairphone beauftragte Closing the Loop.
Literatur
Hier noch meine Thesen Unterstützendes aus dem Web:
- Adam Minter ist Journalist mit vielen Recherchen zum Thema Recycling und Müll. Er schreib öfter aufklärende Texte zu Elektroschrott, z.B. „Anatomy of a Myth: the World’s Biggest E-Waste Dump Isn’t.“ oder „Continental Shift„.
- Hier zwei gute Beiträge von Einwohnern in Accra, die sich über die westliche Sicht der Dinge beschweren: „My reaction to the film The E-Waste Tragedy“ von Emmanuel E.P Nyaletey oder „‘The Gaze On Agbogbloshie,’ Misrepresentation At Ghana’s E-Waste Dumpsite“ mit Heather Agyepong.
- Robin Ingenthron lebt vom E-Schrott-Export und mag daher nicht sonderlich neutral sein, zudem sind seine Blog-Posts recht aggressiv, dennoch hat er die Diskussion entscheidend voran gebracht, siehe sein Artikel „Why We Should Ship Our Electronic „Waste“ to China and Africa“ oder die Online-Diskussion „Reuse advocate calls Agbogbloshie ‚a hoax‘“ mit vielen bekannten Teilnehmern.
- Josh Lepawsky forscht zur Geographie des Mülls und schrieb den guten Text „Beyond recycling: solving e-waste problems must include designers and consumers„. Er schrieb auch mit anderen Autoren eine Replik zu der jüngste Veröffentlichung der UNEP zu Thema, „Waste Crime – Waste Risks„, die meiner Darstellung widerspricht mit der Aussage, dass bis zu 90% allen Elektroschrotts illegal exportiert oder entsorgt würden: „Criminal Negligence?„
Erklärung: Der Autor arbeitet als Softwaretester beim Hamburger Hafen, über den viele E-Schrott-Exporte laufen, daher könnte er als nicht neutral angesehen werden, denn er verdient indirekt ein wenig daran.
Update: [6.7.] Ergänzung der Erklärung, Entfernen eines nicht mehr gültigen Links und Verlinken des „Criminal Negligence?“-Artikels nebst Erläuterung.
Pingback: [Faire Computer] Exportiert Euren Elektroschrott! - Über einen Good-Enough-Markt und den Best-of-two-Worlds-Ansatz | netzlesen.de
interessanter Vortrag / Artikel
wenn es ich Ghana so gut läuft, sollte es doch auch mehr Bilder dazu geben
wie daran zu kommen ist ist mir auch nicht ganz klar – vlt mit einer Mail an die Blogger dort – hast Du oder jemand bekanntes das schon versucht?
LG..rinne
Ich bin mir nicht sicher, was du genau meinst mit „es in Ghana so gut läuft“, aber schau dir mal diesen Artikel an, der die Tatsachen auch bildlich etwas realistischer als in den üblichen Medienberichten darstellt: http://shanghaiscrap.com/2015/06/anatomy-of-a-myth-the-worlds-biggest-e-waste-dump-isnt/
Und hier noch eine Fotostrecke zum Reparaturgeschäft: http://roadsandkingdoms.com/2015/ghanaian-hustle/
Interessant könnten in diesem Zusammenhang sein
* die Bilder von Robin Ingenthron unter http://yourshot.nationalgeographic.com/profile/1018351/
* das Projekt Qamp, siehe http://qamp.net/
* dieser Artikel: http://accrareport.com/feature/agbogbloshie-a-local-solution-for-a-global-tragedy/
Es wäre in der Tat schön, Agbogbloshie mal als Makerspace zu präsentieren und nicht als Schrotthalde.
„Es ist aber schlicht falsch, dass unser Export direkt auf deren Müllhalden landet.“
Ende 2014 habt ihr das allerdings selbst noch behauptet:
„As a consequence, e-waste from Germany and other Western countries ends up in the illegal dump site of Agbogbloshie in Accra, the capital of Ghana.“
http://blog.faire-computer.de/mike-anane-on-the-e-waste-menace/
Herrn Ananes Ananes Behauptungen, die unter Anderem auch das genaue Gegenteil der Studienergebnisse beinhalten („For me the bottom line is dumping, because from all of these containers that come, only about 20% are functional, and 80% are junk, garbage.“), werden auch in dem bereits verlinkten Text von Emmanuel E.P Nyaletey recht überzeugend angegriffen: http://www.isri.org/news-publications/isri-blog/isri-blog/2014/11/18/my-reaction-to-the-film-the-e-waste-tragedy#.VYxa7LwvCkA
Hallo Alex,
naja, nicht wir haben das behauptet, sondern Mike Anane. Aber in der Tat hat es zumindest bei mir einen deutlichen Schwenk in der Wahrnehmung der Thematik Elektroschrottexport gegeben. U.a. hat mich der von Dir erwähnte – und auch im Blogbeitrag am Ende verlinkte – Artikel „My reaction to the film The E-Waste Tragedy“ zweifeln lassen, ob die bislang fast monopolistische Darstellung von Anane korrekt ist.
Grüße,
Sebastian
Im Juni gab es eine Räumung des Slums, der an Agbogbloshie anschließt, und in dem einige der dort Arbeitenden lebten. Offiziell dient als Begründung die Verstopfung der Kanalisation, die eine Flut in der Stadt ausgelöst haben soll. Inoffiziell munkelt man von Gebietsansprüchen, die die Polizei durchsetzen wollte. Kommentatoren machen sich aber auch Gedanken, ob die tendenziöse, negative Darstellung von Agbogbloshie in den westlichen Medien auch Schuld sein könnten. Siehe dazu z.B. den Artikel „An Infamous E-Waste Slum Needed Us. It Got Razed Instead“, von Kyle Wiens, Mitgründer von iFixit, in Wired, zu finden unter http://www.wired.com/2015/06/infamous-e-waste-slum-needed-us-got-razed-instead/. Wired selbst hatte wenige Monate vorher noch einseitig von Agbogbloshoie berichtet, siehe http://www.wired.com/2015/04/kevin-mcelvaney-agbogbloshie/
Sehr informativer Bericht, so hab ich das noch nicht betrachtet. Und auch hier scheint die Welt nicht nur schwarz oder weiss zu sein, was das eigene Urteil viel einfacher machen würde. Pooooh, da muss ich länger drüber nachdenken.
Guter Bericht, gefällt mir. Weiter so!
Ok,- soweit sehr gut ,- aber wohin bringe ich denn meinen alten PC wenn ich in Hessen / Frankfurt wohne ?
Gibt es Adressen an die man sich aktiv wenden kann ?
Ich denke das ist von generellem Interesse !
Grüße
Roland
Hallo! Man ist verpflichtet, Elektroschrott beim Recyclinghof abzugeben oder bei einer Sammelstelle (z.B. Händler), die letztlich dasselbe tut. Derzeit sortiert auch ein Recyclinghof funktionierende Geräte aus um sie zu verkaufen. Mit der anliegenden Novelle des ElektroG soll das aber unterbunden werden (hier Kritik daran: https://germanwatch.org/de/9939), dann wird zum Recycling aller abgegebenen Geräte verpflichtet. Grüße, Sebastian
Danke für den Interressanten Artikel!
Viele Grüße Moritz
Danke für den Artikel, öffnet einem die Augen :S