In Schwerin fand im Februar eine Veranstaltung zur öffentlichen IT-Beschaffung statt, die sich über die Jahre zum führenden Fair-IT-Treffen zumindest in Norddeutschland entwickelt hat. Dort traf Kevin Slaten von China Labor Watch (CLW) auf Niklas Rydell von TCO Development, und sie diskutierten und stritten über Audits, auf denen eine TCO-Zertifizierung basiert und die CLW als untauglich abtut. Was ist der Hintergrund?
Die Definition vorweg: Um Fairness zu beurteilen finden Audits statt, d.h. es wird durch Anschauung vor Ort bewertet, ob vorher definierte Standards und Richtlinien eingehalten werden. In unserem Fall sind dies arbeitsrechtliche Vorgaben, seien es gesetzlicher Natur oder aufgrund eines Verhaltenskodex (code of conduct) den etwa ein IT-Hersteller seinen Zulieferern oder ein IT-Einkäufer dem Hersteller zur Auflage macht bei der Auftragsvergabe. Ergebnis eines Audits ist nicht nur ein Bericht über den Erfüllungsgrad (meist anhand der abgehakten Punkte auf einer Checkliste), sondern auch ein Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Konformität, a) mittels sofort durchzuführender Korrekturmaßnahmen und b) durch längerfristige, vorbeugende Maßnahmen. Deren Wirksamkeit sollte in angemessenem zeitlichen Abstand ebenfalls in einem Folgeaudit beurteilt werden.
Audits in der IT-Branche
Die bekanntesten Audits im IT-Bereich sind die selbst erstellten von Apple, deren Ergebnisse jährlich im März spärlich zusammengefasst werden, ohne allerdings die Originalberichte zu veröffentlichen. Unabhängig davon hatte Apple ausnahmsweise für einen inzwischen beendeten Zeitraum und nur für einige Werke des Zulieferers Foxconn die Fair Labor Association (FLA) mit Audits beauftragt, deren Ergebnisse immerhin umfangreicher dokumentiert sind. Samsung hat meines Wissens zuletzt Ende 2012 etwas in dieser Richtung veröffentlicht. Das nur als Beispiele.
Um den Erfolg von Audits hin zu mehr Fairness zu beurteilen sollte man sich meiner Meinung nach auf folgende Risiken konzentrieren:
- Sind die Bewertungen in den Audits korrekt?
- Werden die richtigen Maßnahmen gefolgert?
- Werden die Maßnahmen tatsächlich durchgeführt?
Annehmen tun wir mal, dass Audits auch tatsächlich stattfinden und dass deren Vorgaben (das Gesetz, der Kodex) ausreichend umfassend sind, also eine an sich wünschenswerte Situation beschreiben. Wir kümmern uns hier nicht um Punkt 2 und 3, denn schon beim ersten Punkt sind Zweifel angebracht.
Bekannt gewordene Schummeleien
Hier und da wuden Lügen aufgedeckt:
- Laut China Labor Watch (CLW) sollen bei Jabil Stundenzettel gefälscht worden sein, um die Tagesarbeitszeiten auf dem Papier niedriger zu halten. Auch bei investigativen Recherchen in einer Pegatron- und einer Jabil-Fabrik wurde ähnliches entdeckt.
- Der Guardian berichtet, dass zwar die Fair Labor Association (FLA) in ihrem Audit keine Praktikanten in Foxconns Werk in Chengdu entdeckt habe, dass zum selben Zeitpunkt laut eines Mitarbeiters dort aber durchaus tausende Studenten in Arbeit waren. Die FLA berichtet selbst, dass sie bei Foxconn Anweisungen von Vorgesetzten entdeckt haben, was Arbeiter den Auditoren antworten sollen.
- Auch Apple berichtet von Betrügereien bei ihren Audits: 2012 wurden vier Zulieferer erwischt, 2013 waren es ebenfalls vier, 2014 waren es 18. Welche es waren verrät Apple nicht. Bei mehrfachen Verstößen hat Apple Auftragsbeziehungen nach eigenen Angaben auch beendet. Nebenbei: Pegatron hat 2013 jedoch trotz der oben genannten Berichte mehr Aufträge von Apple bekommen als jemals zuvor.
- CLW war under-cover in Firmen und entdeckte Kinderarbeit, wo Samsung kurz vorher noch nach eigenen Angaben keine entdeckte. Samsung hat noch mal nachgeschaut und wieder nichts entdeckt, woraufhin CLW abermals nachlegte.
Audits von der Stange
Apples 2014er-Beicht basiert auf 451 Audits, wovon nach eigener Aussage aber nur 31 „surprise audits“ waren. Die Audits sind also in der Regel angekündigt, d.h. die beobachteten Firmen können sich vorbereiten. So kann den Angestellten, die von den Inspektoren gefragt werden detaillierte Antworten zu den zu erwartenden Fragen vorgegeben werden um diese auszutricksen. Die Interviews werden meist innerhalb des Fabrikgeländes geführt und nicht privat außerhalb der Arbeitszeiten.
Es findet ein Katz-und-Maus-Spiel statt: „To avoid appearing illegally overcrowded, one factory moved many machines into trucks parked outside during an inspection, a monitor said. Whenever inspectors showed up at certain plants in China, the loudspeakers began playing a certain song to signal that underage workers should run out the back door“. Teilproduktionsschritte werden zudem an Drittunternehmen unterbeauftragt von denen die Auditoren und auch die Herstellerfirmen gar nichts wissen, um unbeobachtet bleiben zu können. Kein Auditunternehmen kann es sich leisten, sich in die Details des Produktionsprozesses einzuarbeiten, selbst wenn man sie lassen würde.
Auditing ist ein Geschäft wie jedes andere. Die Inspektoren hasten von einer Firma zur nächsten, in einem engen Zeitplan der lediglich vorsieht, dass die Checklisten abgearbeitet werden, damit der Auftraggeber seinen Bericht bekommt. Jede nicht abgehakte Checkbox macht unerwartet zusätzliche Arbeit, schließlich müssen Folgeempfehlungen erarbeitet werden.
Die Listen machen zudem etwas scheinbar eindeutig, was kaum objektiv messbar ist. Meist ist man auf die Einschätzung der Arbeiter angewiesen, die nicht einmal wissen, ob sie den Inspektoren vertrauen können, schließlich wurden sie vom Kunden des Arbeitgebers beauftragt. Der FLA-Chef sagt: Auditing is „just a snapshot of what’s going on a particular day or series of days at the factory, rather than the whole movie.“
Ohne Folgen
Apple schreibt stets: „If companies want to do business with
us, they must uphold the highest commitment to human rights.“ Aber tatsächlich werden nur in extremen Fällen Geschäftsbeziehungen von Apple abgebrochen, bei sog. „Core Violations“. Fürchten sich die Zulieferer also wirklich vor den Konsequenzen und passen ihr Geschäft an? Firmen reagieren nämlich nicht auf Audits, sondern auf Auftragsvergabe.
Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass man viel von den Erstaudits liest, weniger aber von den Nachuntersuchungen aufgrund der Empfehlungen, und dass zwar viel Geld für Audits nach einer Enthüllung, aber wenig präventiv ausgegeben wird. Die Studie „Does Customer Auditing Help Chinese Workers?“ kam zu dem Ergebnis, dass Audits den Betroffenen in Sachen Arbeitszeiten, Gehalt und Arbeitnehmervertretungen gar nicht helfen, allenfalls den benachteiligten Arbeitsmigranten in ihrer finanziellen Absicherung. Die Effekte von Audits sind also gering: Vermutlich werden nur ein paar günstige Verbesserungsvorschläge umgesetzt, die teuren bleiben unerledigt.
Wie ich in einem vorhergehenden Beitrag am Beispiel Apple erläutert habe kann es auch kaum funktionieren: Die Markenfirma bessert ihr Image mit Audits auf und verlangt von den Zulieferern die Befolgung von Standards, für die diese aber gar kein Geld investieren können, weil weiterhin der günstigste Anbieter den Zuschlag bekommt.
So bleibt nur das Durchwurschteln: “There’s always one good factory, and there’s always one that lies better than everybody else. So guess which one would have the cheaper price?”
Under-cover Recherche als bessere Alternative?
Intensiver, unabhängiger und damit glaubwürdiger als Checklisten-Audits sind investigative Recherchen. Diese geschehen under-cover, d.h. die Aktivisten heuern als Arbeiter an und machen eigene Erfahrungen im Tagesgeschäft. Sie führen auch private, vertrauliche Interviews mit KollegInnen. Somit sind sie näher dran am Geschehen.
Diese Form der Recherche ist aber aufwändig und wird unternommen von Nichtregierungsorganisationen mit wenig Geld. Die sind abhängig davon, dass auch etwas Sensationelles dabei herauskommt, denn sie leben von Aufmerksamkeit durch Enthüllungen. So ist es kein Wunder, dass es Widersprüche zwischen den offiziellen Audits der Hersteller und den Erkenntnissen der dieser Recherchen, etwa von China Labor Watch oder SACOM, gibt.
In unserer westlichen Gegenwart und Vergangenheit als auch aktuell in China ist kollektiver Protest und Arbeitsniederlegung der ArbeiterInnen der messbar erfolgreichste, aber auch schmerzhafteste und riskanteste Weg Verbesserungen durchzusetzen. In diesen Beitrag eingeordnet: Wenn man so will ist der Beschwerde immer ein Audit im Innern vorher gegangen, evtl. durch den Betriebsrat oder sonstige ArbeitnehmerInnenvertretung. Noch einmal der FLA-Chef: „What really keeps factories compliant is when workers have a voice and they can speak out when something isn’t right.“
Der Audit-beauftragende Markenhersteller ist da weit von entfernt.