Fair wie in Faire Orangen
Die Kolumne “Betrifft: Faire Computer” erscheint regelmäßig in der FIfF-Kommunikation. Es geht kurz und knapp um die News (die meist auch schon getwittert wurden unter @FaireComputer) in Sachen Faire IT / Elektronik des letzten Vierteljahres. Diese Ausgabe berichtet von Mitte Mai bis Mitte August 2014 und ist in der FIfF-Kommunikation 3/2014 erschienen. Auch frühere Ausgaben findet ihr hier im Blog.
Am Anfang eine Enttäuschung: Spätestens am 2. Juni mussten alle US-börsennotierten Unternehmen gemäß Dodd-Frank-Act 1502 erstmals veröffentlichen, ob sie in ihren Produkten Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold einsetzen und wenn ja, ob dies aus der D.R. Kongo oder den Nachbarländern kommen könnte und wenn ja, was sie tun um zu vermeiden, dass das Geld für diese Rohstoffe an eine der Bürgerkriegsparteien geht und sie somit den Konflikt indirekt anheizen. Noch konnte man sich herausreden, nicht genügend Informationen von den Zulieferern bekommen zu haben, um sich ein Urteil zu bilden. Das haben die meisten auch getan, so dass zusammenfassend gilt: kein einziges Unternehmen konnte ausschließen, Konfliktmineralien in seinen Geräten zu haben. Die IT-Branche ist im Vergleich etwa zur Automobilwirtschaft durchaus transparent und offensiv der Sache entgegen getreten. Intel etwa macht nun damit Werbung konfliktfreie Prozessoren zu haben, mit eigenem Logo und großem Werbeaufwand. Viele haben jedoch nur Absichtserklärungen abgegeben. Die US-amerikanische Organisation Enough Project, die durch ihre intensive Lobbyarbeit dieses Gesetz erst möglich gemacht haben, sieht zwar große Fortschritte, die von anderen jedoch bezweifelt werden. So bleibt für den Käufer der Aktien und der Produkte vieles weiterhin im Dunkeln. Obschon: So wissen wir nun immerhin, dass HP und IBM Gold aus Nordkorea beziehen.
Bekanntermaßen ist das Fairphone vorgeprescht, ein Smartphone anzubieten welches konfliktfreie Rohstoffe enthält. Das ist inzwischen wohl vielen Herstellern der Fall, allerdings kaufen viele schlicht nicht mehr im Kongo ein, was gemäß US-Gesetz automatisch Konfliktfreiheit bedeutet. Fairphone bezieht deswegen explizit aus dem Kongo, so ähnlich wie sie explizit in China herstellen lassen, trotz aller Schwierigkeiten und vergleichsweise Unfairness. In eben diesem Betrieb wurden nun Wahlen für ein Gremium durchgeführt, das über die Verwendung des gut 90.000 Euro umfassenden Workers Welfare Fond abstimmt. Die erste Verbesserung wurde schon unternommen: Jeder bekam einen Bonus, und die Kantine bietet nun auch Obst an. Mit dem seit längerem gestarteten Verkauf der zweiten Charge von Fairphones wird sich das Kapital auf mehr als 220.000 Euro erhöhen. Diese verkaufen sich aber eher schleppend, kein Wunder wenn man ein schon vor einem halben Jahr technisch mittelmäßiges Gerät unverändert nochmal anbietet und das nächste schon angekündigt hat. Ausreichend für 80% der Smartphonebenutzer ist es aber allemal.
Auch Nager-IT lässt teilweise in China herstellen, konkret: Das USB-Kabel kommt dorther. Der Hersteller bekommt nun kalte Füße weil Nager-IT mit dem regierungskritischen China Labor Bulletin zusammenarbeitet. Ansonsten gibt es zu berichten, dass der Leiterplattenhersteller Insolvenz angemeldet hat und Nager-IT nun auf der Suche nach einem ähnlich transparenten Lieferanten ist. Von neuen Projekten, die Fairness in der Elektronik zum Ziel haben, ist wenig zu vernehmen. Aus dem vor drei Monaten berichteten Workshop bei der Maker Faire ist ein Projekt für faires Lötzinn hervorgegangen. Der Plan des Crowdfundingprojekts Shift7 ihr ab 77 Euro erhältliches Tablet fair zu produzieren, ist da wohl schwieriger umzusetzen.
Die Aktualisierung des beliebten Greenpeace-Rankings Guide to Greener Electronics lässt seit November auf sich warten, aber bessere „Wie fair sind die Markenhersteller?“-Vergleichslisten sind inzwischen verfügbar. Zum einen wartet Rank a brand mit einer dreiteiligen Liste über Fairness, Klima- und Umweltschutz und einem Greenwashing Alert auf im Sustainable Electronics Report 2014. „Insgesamt überzeugen in Ansätzen nur Fairphone, HP und Apple.“ heißt es zum Thema faire Produktion. Eine Australische Organisation hat fast zeitgleich einen umfangreichen Bericht namens Behind the Barcode – Electronics Industry Trends veröffentlicht mit Schwerpunkt auf sklavenartige Arbeit und der living wage, also genügend Gehalt für die Ernährung einer kleinen Familie. Hier stach Nokia hervor. Das ist interessant, denn zum einen suchte Nokia (inzwischen ja die Mobilsparte von Microsoft) in der Vergangenheit immer wieder günstigere Arbeitnehmer – nach Deutschland, Rumänien und Indien nun in Vietnam – zum anderen war der größte Streik in Chinas Elektronikindustrie im letzten Jahr bei Nokia: wegen Gehaltsfragen.
Aber zurück zu den Rankings: Samsung landet bei diesen immer irgendwo im Mittelfeld. Zunehmend gerät der weltgrößte Handy- und Smartphonehersteller in den Blickpunkt der Kritiker, allen voran China Labor Watch. Sie schleusten zum wiederholten Male undercover Mitarbeiter in einen Samsung-Zulieferbetrieb ein und entdeckten – ebenfalls nicht zum ersten Mal – Beschäftigung unter 16-jähriger, was in China als auch International verboten ist. Als Samsung im Juni veröffentlichten Zuliefererbericht behauptete, bei ihren Auftragnehmern keine Kinderarbeit beobachtet zu haben, ging China Labor Watch an die Öffentlichkeit. Bald danach kündigte Samsung vorläufig die Zusammenarbeit mit eben diesem Zulieferer, ein Schritt, den die Arbeitsorganisation als nicht hilfreich kritisierte. Man befindet sich in schlechter Gesellschaft: Eine chinesische Elektronikfirma wurde behördlich geschlossen nachdem dort gleich 200 Kinder bei der Arbeit entdeckt wurden.
Aber zurück zu Samsung: Es gab wochenlange Arbeiterproteste vor der Zentrale in Seoul nach dem Selbstmord eines Gewerkschaftsvertreters. Die Polizei hatte tatsächlich den Leichnam entführt und eingeäschert. An anderer Stelle gab es immerhin den ersten Tarifvertrag in der Geschichte des Konzerns. Auch das Thema Krebsfälle in der Samsung-Halbleiterherstellung ist noch aktuell. Derzeit laufen vertrauensvoll begonnene Gespräche zwischen der Opferorganisation SHARPS und Samsung.
Aber zurück zu den Enttäuschungen: Von der Dringlichkeit der Untersuchung dieser Fälle überzeugt auch ein anderer Artikel in diesem Blog. Wer weiß wie viele unbekannte Fälle es dieser Art noch geben mag? Die Geschichte wiederholt sich nämlich: In den 70er bis 90er Jahren gab es erste Berichte über Vergiftungen und Krebsfälle bei der Halbleiterindustrie im Silicon Valley (bei IBM) in Schottland (bei National Semiconductor) und in Taiwan (bei RCA). Gibt es denn keine Fortschritte?
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Danke für diese wie immer übersichtliche, interessante Kolumne!
Kleine Nachfrage zu „kein einziges Unternehmen konnte ausschließen, Konfliktmineralien in ihren Geräten zu haben“: Für wessen Geräte konnte kein einziges Unternehmen das ausschließen? Ich hätte erwartet, für seine eigenen Geräte, aber die Formulierung „in ihren Geräten“ klingt als ginge es um wen anders. Worauf bezieht sich „ihren“?
Ok, falsches Deutsch, es muss heißen: „in seinen Geräten“, habe ich im Text geändert. Danke für den Hinweis!
Ich kaufe eigentlich eh nur Intelprozessoren. Sind einfach die besten finde ich =) Die Idee von dem Fairphone finde ich echt genial. Das ist auf jeden Fall der richtige Schritt in die Zukunft. Weiss denn jemand ob das neue iPhone 6 ein Konflikthandy ist? Die Nager-IT wird sicherlich schnell einen anderen Leiterplattenhersteller finden.
Sehr interessanter Text. Danke!
Zum Thema „iPhone 6 konfliktfrei?“ Wie alle anderen US-börsennotierten Firmen auch konnte Apple nicht komplette Konfliktfreiheit garantieren. Das Fairphone ist übrigens auch nicht sicher konfliktfrei.
Ich finde es wirklich klasse, dass Sie sich all diese Mühe machen und die Informationen uns mitteilt. Danke dafür.
Gruß Karin