Betrifft: Faire Computer 2/2023

Logo_simpelDie Kolumne “Betrifft: Faire Computer” erscheint eigentlich in der FIfF-Kommunikation. Diese Ausgabe ist aber nicht gedruckt worden, was an mir liegt. Alle Ausgaben findet ihr hier im Blog.

Nur um den Überblick nicht zu verlieren:

  • Es gibt das viel diskutierte deutsche Lieferkettengesetz, offiziell Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder LkSG. Man hört kaum mehr etwas davon, es ist aber seit Anfang des Jahres in Kraft. Erste Berichte müssen bald nach Ende der Geschäftsjahre erscheinen. Weil die deutsche Hardwareindustrie eher mittelständisch, aber nur große Unternehmen in der Pflicht stehen, erwarte ich nur wenige Erkenntnisse für unser Thema.

  • Das wird eh obsolet, sobald die EU-Version des ganzen beschlossen ist, denn dem müsste sich Deutschland anpassen. Für Österreich wäre es sogar der Einstieg in ein solches Gesetz. Frankreich anders herum hat schon ein starkes Lieferkettengesetz. Nun haben alle EU-Gremien ihre Meinung gesagt, so dass demnächst der Trilog beginnt zwischen Kommission, Parlament und den Mitgliedsstaaten, dem Europäischen Rat. Ich möchte gar nicht weiter darüber schreiben, denn am Ende kommt eh wieder was anderes heraus als vorher lange diskutiert wurde.

  • Das hat die „Konfliktminerale-Verordnung“ (in der deutschen Umsetzung MinRohSorgG, in der österreichischen MinroG) seit 2017 hinter sich. Es ist eine Art Speziallieferkettengesetz, weil es sich lediglich um die Finanzierung von Bürgerkriegen und nur vier in die EU importierte Rohstoffe (sog. Unionseinführung) kümmert. Es ist für diese Kolumne besonders relevant, zielt es doch auf Rohstoffe ab, die in Hardware häufig zu finden sind, ich sag‘ nur: Blutcoltan, ihr erinnert Euch.

Und zu diesem MinRohSorgG gibt es nun den ersten, sonderbar wenig beachteten Bericht der deutschen Kontrollbehörde. Noch ist nichts sanktionsfähig, aber sie wollten schon mal schauen, wie es denn so mit der Sorgfalt aussieht. Das Fazit ist niederschmetternd, ich zitiere:

Als Ergebnis ließ sich festhalten, dass von den 145 Unionseinführern keiner den Offenlegungspflichten vollständig nachgekommen war, im Detail (Q1/2022):
• über 80% den Offenlegungspflichten gar nicht nachgekommen waren
• ca. 20% die Offenlegungspflichten nur in Teilen erfüllt hatten […]
• und keiner seinen aktuellen Auditbericht in zusammenfassender Form offengelegt hatte.
[…] Dies widerspricht insbesondere dem Transparenzgedanken der Verordnung und macht eine Einsicht in die Einhaltung der Sorgfaltspflichten durch die Zivilgesellschaft fast unmöglich.


Als Sanktion wettet das Gesetz nämlich vor allem darauf, dass ignorante Unternehmen schlechte Presse bekommen, weil die Zivilgesellschaft vermutlich protestieren wird. Dabei sind diese Rohstoff-importierenden Unternehmen meist völlig unbekannte Akteure.

Absehbar bekommen wir es hier mit einem neuen, alten Thema zu tun – bei GoodElectronics (das FIfF ist Mitglied) wird jedenfalls reichlich berichtet: Der Halbleiterfertigung. Die EU und die USA schenken den Chipherstellern derzeit Geld, Ressourcen und Ausnahmegenehmigungen um bei ihnen im Land zu fertigen und so in Zeiten unsicherer Lieferketten und despotischer Großmächte nicht abgehängt zu werden.

Chipherstellung benötigt viel Wasser und viele Chemikalien, und vor allem letztere waren der Grund für die Abwanderung der Industrie in Ländern mit geringeren Auflagen und dennoch guter Infrastruktur wie Südkorea oder Taiwan. Die Historie ist voll von Arbeitsunfällen und Krebsfällen, siehe etwa das Fazit einer neuen Untersuchung: „Female operators involved in the semiconductor wafer fabrication process had higher risk of mortality from lymphohematopoietic cancer.

Was passiert bei den fairen Hardwareprojekten? Die Chefin von Fairphone hat aufgegeben und zitiert die ehemalige Ministerpräsidentin Neuseelands: „[I] no longer have enough in the tank to do it justice“. (Hm, ihr Vorgänger und Fairphone-Gründer gab nach einem Burnout alles ab.) Fairphone ist in diesem Jahr 10 geworden und hat eine neue Finanzierung, erzielt aber weiterhin nicht die Verkaufszahlen wie gewünscht.

Fairphone hatte immer gehofft, im Kleinen voranzugehen und vorzumachen, was möglich ist. Das es bei den Großen praktisch keinerlei Reaktion gab empfand sie stets als Enttäuschung, nachzulesen etwa in den Editorials der Nachhaltigkeitsberichte. „We can’t keep wasting time on empty promises and must hold companies accountable. Clearly, most tech companies are only making minimal efforts toward real impact […]

Ich möchte die meiner Meinung nach sehr gute Arbeit von Fairphone an zwei ihrer aktuellen Projekte aufzeigen:

  • Sie haben lange versucht, Fair Trade Gold in ihre Geräte zu bekommen. Bei einer Charge Leiterplatten gelang dies über zwei mühsam ausgehandelte Zwischenstufen. Das war zu aufwändig und sowieso kaum wiederholbar, daher haben sie sich inzwischen für eine Art Zertifikatehandel entschieden: Sie kaufen faires Gold entsprechend der Menge ein, die in ihren gesamten Geräten (also nicht nur Leiterplatten) steckt – es soll für 20000$ gewesen sein -, verkaufen dies aber konventionell weiter und versuchen es auch gar nicht erst in ihre Geräte zu bringen. Eine Förderung fairen Goldabbaus ist es dennoch. Meiner Meinung nach ist dies der einzige Weg, den ein so kleines Unternehmen gehen kann.

  • Seit Beginn an ist Fairphone aktiv dabei, den Fließbandarbeitenden einen so genannten Living Wage zu garantieren, der ein auskömmliches Leben für sich und die Familie ermöglicht. Fairphone hat das nicht nur umgesetzt, sondern den Erfolg auch ausführlich dokumentiert und Tipps veröffentlicht, damit andere Hersteller dies nachmachen können.

Es bleibt interessant!

P.S. @FaireComputer twittert nicht mehr und schon gar nicht x-t es. Seit der Heini, der den Laden gekauft hat, seinen Mitarbeitenden „lange Arbeitszeiten mit hoher Intensität“ angekündigt hat, lässt es sich mit den Absichten der AG nicht mehr vereinen. Ich versuche per @faire_elektronik@mastodon.social etwas vergleichbares wieder aufzubauen, aber viele der alten Follower fehlen nun leider.

 

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