(Dies ist die deutsche Version des Artikels „A carcinogenic career at Samsung“ von Michael Leben.)
Im Alter zwischen dreißig und vierzig Jahren kreisen private Gespräche meistens um die Kinder, den Partner oder den Job. Wenn aber das Telefon bei Frau Park Min-Suk aus Südkorea klingelt, und sie nach langer Zeit von einem alten Freund angerufen wird, dann geht es oft um Krebserkrankungen. Im Jahr 2012 wurde auch bei Frau Park Brustkrebs festgestellt. Diese Telefonanrufe erweckten schließlich in ihr den Verdacht, ihr ehemaliger gemeinsamer Arbeitsplatz könnte der Auslöser für die vielen Erkrankungen sein. Sie arbeitete über sieben Jahre in der Halbleiterproduktion für Samsung in sogenannten Cleanrooms (Reinsträumen). Von den 18 Arbeitskollegen ihrer damaligen Schicht leiden mittlerweile sieben an Krebs und Unfruchtbarkeit. Zusammen mit der Dr. Kong Jeong-ok von der koreanischen Arbeitsschutzorganisation SHARPS, die uns bei der Übersetzung half, haben wir Park Min-Suk in Berlin getroffen.
Faire Computer (FC): Arbeiten Sie noch immer bei Samsung?
Min-Suk Park: Jetzt nicht mehr. Ich habe von 1991 bis 1998 in einer Fabrik von Samsung gearbeitet. Das macht sieben Jahre bei Samsung. Ich wurde 1973 geboren, und habe mit 18 Jahren begonnen, in der Fabrik zu arbeiten.
FC: Was war ihre Aufgabe dort?
Park: Ich arbeitete in der Wafer-Produktion. In verschiedenen Prozessen, wie Trockenätzen und Nassätzen (Dry- und Wet-Etching), wobei man Chemikalien von den Wafern entfernen muss, zum Beispiel Fotolack, der auf den Wafer aufgebracht wurde, damit er sich entwickelt und dann zerschnitten werden kann. Der Wafer muss dann mit einigen Chemikalien gesäubert werden, das ist der Ätz-Prozess. Ich arbeitete auch mit Verfahren wie chemischer Gasphasenabscheidung und Dünnschichten. Ich wurde in unterschiedlichen Produktionslinien eingesetzt.
Anfangs war es Parks Aufgabe, die Wafer zu säubern. Ein erfahrener Angestellter erklärte ihr die Arbeit. Wenn es um Schutzmaßnahmen ging, dann ausschließlich um solche zum Schutz der Wafer, von denen jeder „soviel wie dein Haus“ kosten würde, wie ein dienstälterer Kollege betonte.
Park: Aceton und Isopropylalkohol waren die Chemikalien, die wir am öftesten benutzten, um den Arbeitsplatz zu reinigen. Damit habe ich täglich hantiert.
FC: Wussten Sie, dass diese Chemikalien gefährlich sind?
Park: Ich wusste nichts über die Gefahren. Obwohl ich täglich mit verschiedenen Chemikalien und Gasen Umgang hatte, glaubte ich einfach, was die Firma uns sagte. Und die sagten, dass der Reinraum perfekt überwacht sei. Also dachten wir überhaupt nicht an chemische Gefahren. Ich hatte das leichte Gefühl, das es gefährlich sein könnte. Bevor ich dort arbeitete, hörte ich, dass die starken elektromagnetischen Felder in den Halbleiterfabriken bei Frauen Unfruchtbarkeit hervorrufen könnten.
Halbleiter-Erzeugnisse werden in sehr komplexen Verfahren hergestellt. Meistens werden ätzende Chemikalien verwendet, damit die Schaltkreise auf einem Wafer entstehen. Ein Wafer ist eine dünne Scheibe aus Halbleitermaterial. Staub ist sehr gefährlich für die Chips, deshalb werden sie in Reinräumen hergestellt. Um die elektronischen Bauteile vor Staub, Haaren und Speichel zu schützen, tragen die Arbeiter Schutzanzüge, sogenannte Bunny suits, die man aus den Intel-Werbespots der 90er Jahre kennt. Obwohl diese Anzüge entfernt an Weltraumanzüge erinnern, sind sie keinesfalls dafür geschaffen, die Arbeiter zu schützen. Stattdessen verhindern sie, dass menschliche Partikel den Wafer kontaminieren, aber verhindern es keineswegs, dass der menschliche Körper mit Chemikalien in Berührung kommt.
Park arbeitete für Samsung in einer Halbleiterfabrik im südkoreanischen Giheung, wo sie Speichermodule herstellte, beispielsweise 64 MByte DRAM oder 256 KByte Fast SRAM. Wer damals einen handelsüblichen PC besaß, hatte darin sehr wahrscheinlich Speicherchips, die Park und ihre Kollegen hergestellt hatten. Heutzutage ist Samsung die Nummer 1 unter den Herstellern von Speicher.
FC: Haben Sie mit ihren Kollegen über die Chemikalien gesprochen?
Park: Die Mitarbeiter haben mir nichts darüber gesagt. Als wir in der Fabrik anfingen, unterwies uns ein dienstälterer Kollege – vertrauensvoll „Schwester“ genannt. Er oder sie fungiert als Lehrer oder sogar wie ein Elternteil für die jungen Mitarbeiter. Wenn die nichts über Gefahren erwähnen, dann haben die jungen Mitarbeiter keinen Grund, Verdacht zu schöpfen.
Die dienstälteren Mitarbeiter haben ihre Autorität zugunsten des Wafers eingesetzt. Und falls es einmal zu einem Unfall kommen sollte, dann hatte Samsung seine eigene Interpretation eines Evakuierungsplans, wie Park erklärt:
Park: Die größte Gefahr, von der ich von einer der „Schwestern“ hörte, war die einer Notabschaltung. Das bedeutet, dass die Produktionsanlagen wegen Wartungsarbeiten oder wegen eines Stromausfalls gestoppt werden. Sie sagten uns, dies sei der schädlichste Moment für die Wafer – nicht für die Angestellten – und aus so einer gefährlichen Situation zu flüchten, ohne sich vorher um den Wafer zu kümmern, könnte dazu führen, dass der Wafer durch zulange Einwirkzeiten der Chemikalien beschädigt wird. Der Wafer sollte noch evakuiert werden, bevor die Arbeiter die Anlage verlassen, daran sollten wir uns immer erinnern.
Park erledigte ihre Arbeit so gut, dass sie bis zum Teamleiter aufstieg. In den ersten drei Jahren bei Samsung hatte sie nicht viel Freizeit. Es wurde verlangt, dass die Angestellten jeden Tag arbeiteten, und nur einmal im Monat konnte ein Tag frei genommen werden, und auch nur dann, wenn ein anderer Mitarbeiter stattdessen die Schicht mitübernahm und so die Arbeit für zwei gleichzeitig verrichtete. Park und ihre Kolleginnen waren damals knapp 20 Jahre alt, einige von ihnen noch Teenager.
FC: Wurden Sie während oder nach der Arbeit bei Samsung krank?
Park: Ich hatte starke Menstruationsschmerzen. Im Reinraum war der Luftdruck sehr hoch, sodass ich sehr müde wurde. Das einzige, woran ich mich vom Fabrikarbeiterleben erinnern kann, ist Arbeiten und zurück zum Schlafsaal zu gehen, um zu Schlafen. Nur arbeiten und schlafen, nichts anderes, schon mit knapp 20 Jahren. Ich war sehr erschöpft.
In den ersten drei Jahren, hatten wir nur einen einzigen Tag im Monat frei. Um diesen Tag frei zu bekommen, musste ein anderer doppelt arbeiten. Wir brauchten wirklich diesen freien Tag, aber wir konnten das nur einmal im Monat machen, weil man diese Doppelarbeit nur einmal im Monat durchhalten konnte. Ich habe die Fabrik verlassen, nachdem ich geheiratet habe. Ich konnte 4 Jahre lang kein Kind bekommen, in dieser Zeit hatte ich auch eine Fehlgeburt. Nachdem ich 2002 mein erstes Kind bekommen hatte, war alles gut, aber 2012, als ich 39 Jahre alt war, wurde bei mir Brustkrebs diagnostiziert.
FC: Ist soetwas auch ihren Mitarbeitern passiert?
Park: Ja. Weil ich Teamleiter war, habe ich viel mitbekommen.
Park fängt an, ein Diagramm der Fertigungslinie zu malen, an der sie in den ersten drei Jahren bei Samsung arbeitete. Es gibt 9 Arbeitsplatzstationen, „bays“ genannt, die meisten davon sind mit je zwei Mitarbeitern im Drei-Schicht-Betrieb besetzt, also ingesamt 6 Mitarbeiter je Arbeitsplatzstation.
Sie erzählt von den Schicksalen ihrer Teammitglieder und berichtet von Fruchtbarkeitsproblemen und Krebs. Von den 18 Arbeitern ihrer Schicht – die Fabrikbelegschaft war in drei Schichten eingeteilt – erkrankten sieben schwer. Das ist eine außergewöhnliche Häufung seltener Krankheiten.
Park: Über die Gesundheit der 44 übrigen Arbeiter weiß ich nichts. In meinem Team gab es Fälle von Unfruchtbarkeit, für 7 Jahre und mehr, Gehirntumore, Leukämie, Schilddrüsenüberfunktion und Fehlgeburten, eine Frau ließ sich ihre Eierstöcke entfernen, bevor sie heiratete. 1994 installierte Samsung eine neue Produktionsanlage, mit einer anderen Anordnung von Arbeitern und Bays. Nachdem das passiert war, hatte ich Kollegen, die Schilddrüsenkrebs, Blasenmole und Haarausfall in sehr frühem Alter bekamen.
FC: Ist das alles in derselben Fabrik passiert?
Park: Ja, das sind alles Fälle aus einer einzigen Fabrik. An weiteren Produktionseinrichtungen gab es noch mehr Fälle. Im Januar 2014 starb eine Abteilungsleiterin, die Photochemie benutzte, im Alter von nur 42 Jahren an Magenkrebs. An anderer Produktionsingenieur im etwa gleichen Alter starb an Leukämie.
FC: Gab es durch Samsung Nachforschungen zu den Krankheitsfällen?
Park: Darüber habe ich nichts gehört. Ich erinnere mich nur daran, dass sie Spenden von den Mitarbeitern eingetrieben haben, um den Kampf eines Kollegen gegen eine Krankheit zu unterstützen. Die Firma führte eine Spendenaktion für ihren Angestellten durch.
Normalerweise würde die staatliche Versicherungsagentur KCOMWEL (Korea Workers’ Compensation & Welfare Service) die Arbeiter monetär für berufsbedingte Erkrankungen entschädigen. Da aber Samsung die Verantwortung für seine erkrankten Mitarbeiter ablehnte, wurden in den meisten Fällen keine Entschädigungszahlungen geleistet. In Südkorea werden durch die Krankenversicherungen die Kosten meistens nicht in voller Höhe erstattet. Patienten müssen einen Eigenanteil von manchmal bis zu 50% erbringen. Deshalb haben sich viele der erkrankten Mitarbeiter durch ihre Behandlungskosten verschuldet.
FC: Haben Sie Klage gegen Samsung eingereicht?
Park: Nein. Ich habe im Juli 2013 die Arbeiterentschädigung bei der Regierung beantragt. Sie haben bis jetzt, nach 10 Monaten, noch nicht geantwortet. Ich warte weiter. Samsung hat sich nie bei mir gemeldet.
Erst kürzlich im Mai 2014 gab Samsung die Verantwortung für die Krankheitsfälle in einer halbherzigen Entschuldigung zu. Die zähen Verhandlungen über die Entschädigungszahlungen sind teils langlebiger als Parks ehemalige Kollegen, von denen etliche bereits tot sind.
Parks Krebserkrankung ist gegenwärtig unter Kontrolle. Sie arbeitet wieder: in einer Schule für behinderte Kinder. Sie sagt, dass sie dort glücklich sei.
Samsung hat inzwischen ein Entschädigungsprogramm aufgesetzt das aber so restriktiv ist, dass Frau Park aus dem Raster fällt, weil ihre Krebserkrankung nach 14 Jahren und nicht schon 10 Jahre nach Beendigung der Arbeit bei Samsung auftrat. Quelle: https://stopsamsung.wordpress.com/2015/04/07/barely-3-out-of-10-victims-qualify-for-samsungs-compensation-plan-standards/