Die Akte Samsung

Der folgende Artikel ist Herbst 2012 in der FIfF-Kommunikation 3/12 erschienen.

Unfaire Arbeitsbedingungen auch beim Allesanbieter

Die öffentliche Kritik an unfairen Arbeitsbedingungen bei der Produktion von Computern hat sich in den vergangenen Monaten auf den Fertiger Foxconn und dessen Auftraggeber Apple konzentriert. Foxconn ist zwar der größte Kontraktfertiger, aber nicht der einzige, und Apple zwar dessen größter, aber nicht der einzige Kunde. Wollen wir also das Augenmerk auch auf andere lenken, und wer liegt da näher als Samsung: bei Handys, Smart-Phones, Speicherchips und LCD-TVs auf Rekordkurs.

Bei Handys ist Samsung weltweit führend, hatte in den vergangenen Monaten im Bereich Smart-Phones sogar Apple überrundet und bietet auch im Bereich Tablets Paroli. Der Markt ist eng verwoben: Apple und Samsung liegen in einem dauernden Patentstreit, dennoch bestehen 30% des neuen iPad von Apple aus Komponenten von Samsung. In Asien kommen die meisten Fernseher von Samsung, bei Speicherchips geht kaum etwas ohne sie. Beide Firmen beauftragen Kontraktfertiger vor allem in China zur Massenherstellung ihrer Geräte.

Im Gegensatz zu vielen anderen Markenherstellern ist Samsung dennoch weiterhin in der Lage, seine Geräte komplett eigenständig zu produzieren. Zum Konglomerat Samsung Electronics gehören unter anderem die weltweit bedeutende Halbleitersparte Samsung Semiconductor und der Bildschirmhersteller Samsung LCD, aber auch dies ist nur ein Teil des Mischkonzerns Samsung Group, zu dem auch Werften, Kraftwerke, Versicherungen oder Krankenhäuser gehören. Samsung ist eine Art Südkorea AG, zuständig für ein Fünftel der Exporte des ostasiatischen Landes. In der Branche der Elektroartikel hat sich Samsung vom Billiganbieter gewandelt zu einem Allesanbieter. Samsung fertigt auch Militärtechnik: Intelligente Selbstschussanlagen sind im Probebetrieb, genau mit dem Logo dran, das bei der einen oder dem anderen von uns an der Digitalkamera oder am Fernseher prangt.

Videostill SGR-A1

Samsung SGR-A1 in Action (Videostill)

Kinderarbeit bei Kontraktfertiger

China Labor Watch, eine von New York aus operierende Organisation zur Durchsetzung von Arbeitsrechten in China, hat im April 2012 verdeckte Ermittler beim Samsung-Zulieferer HEG Electronics eingeschleust. Samsung ist der wichtigste Kunde des Unternehmens und stellt sogar einen Teil der Maschinen zur Verfügung. Die Ermittler stellten Zustände fest, an die wir uns nach den Berichten über Foxconn und andere Kontraktfertiger schon fast gewöhnt haben, in ihrer Schärfe diese aber klar übertreffen: Bezahlung unter Mindestlohn, 11-Stunden-Tage in einer 6-Tage-Woche, zu kurze Pausen, durchgehend Arbeit im Stehen, keine Lohnfortzahlung nach Arbeitsunfällen, Nichtaushändigen des Arbeitsvertrages, Strafzahlungen und Erniedrigungen durch Vorgesetzte, fehlende Sicherheitsvorkehrungen und -einweisungen. Deutlich über das Gewohnte hinaus geht die Selbstverständlichkeit, mit der auch unter 16-jährige für die gleichen Arbeiten eingestellt werden wie Erwachsene, bei allerdings nur 70% des Lohns. All dies entspricht nicht den chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Abkommen.

Sowohl Samsung als auch der beauftragte Auditor Intertek scheinen bei ihren Werksbesichtigungen davon nichts bemerkt zu haben. Chinesische Behörden dementieren. Samsung hat zugesagt, den Vorwürfen nachzugehen. Apple hat regelmäßig – nach eigener, nicht überprüfbarer Aussage – die Vertragsbeziehungen in solchen Fällen abgebrochen. Es bleibt zu beobachten, wie Samsung hier reagiert. Harsche Arbeitsbedingungen jedenfalls sind für Samsung in der Vergangenheit nie ein Tabu gewesen.

„Recognize trade unions over my dead body“

… soll einst der Gründer der Samsung Group gesagt haben. Noch vor zehn Jahren kursierten Berichte über Drohungen gegen Betriebsräte, Kidnapping von Aktivisten, Überwachung, Versetzung und Isolierung von Arbeitnehmern. Zahlreiche Versuche von Betriebsratsgründungen sind gescheitert, stattdessen richtete Samsung ghost unions ein, vom Arbeitgeber besetzte Betriebsräte ohne Befugnisse.

Über die Arbeitsbedingungen in den Werken ist wenig bekannt. Im Schatten ähnlicher Ereignisse bei Foxconn gab es Anfang 2011 auch bei Samsung Berichte über zwei Selbstmorde von Beschäftigten. Samsung entschuldigte sich umgehend und reagierte auf die anklagenden Abschiedsbriefe Mitte 2011 mit scheinbarer Verbesserung der Arbeitsbedingungen: Flexible Arbeitszeiten, Gesundheitsprüfungen und leistungsabhängige Bonuszahlungen. Das Ziel, die Bildung von Arbeitnehmervertretungen zu verhindern, hat der Konzern aber nicht erreicht, denn seit Juli 2011 gibt es den ersten unabhängig gewählten Betriebsrat bei der Samsung Group. Diese späte Entwicklung lässt sich dadurch erklären, dass Südkorea zu der Minderheit von Staaten zählt, die die ILO-Kernarbeitsnormen Nr. 87 und 98 über Vereinigungsfreiheiten nicht ratifiziert haben, womit es übrigens seinem großen Vorbild U.S.A. folgt.

Es ist schwierig, Hintergrundinformationen über Samsung zu bekommen. In Korea wurde von einem (nicht übersetzten) Enthüllungsbuch berichtet, das Lobbyismus, Bestechung und Vetternwirtschaft, enge Verflechtungen zwischen Konzern, Staat und Justiz schildert. Über das Buch wurde anschließend aber weniger diskutiert als vielmehr geschwiegen. Der autoritäre Stil der Firma war auch ein Thema für deutsche Zeitungen.

Dank unermüdlicher Arbeit von Nichtregierungsorganisationen sind die gehäuften Krebserkrankungen bei Samsung jedoch bestens dokumentiert und haben auch international ein wenig Aufmerksamkeit bekommen, auch im deutschen Fernsehen.

Samsung Spoof

Samsung war nominiert für den Negativpreis Public Eye Award. Grafik: © http://www.publiceye.ch/

Krebs-Cluster in der Halbleiterherstellung

Bis zu diesem Zeitpunkt hat Kong Jeong-ok 140 Krebsfälle von Samsung-Mitarbeitern dokumentiert, wovon 55 bislang tödlich verliefen. Dr. Kong ist Ärztin für Arbeitsschutz und aktiv bei SHARPS (Supporters for the Health And Rights of People in the Semiconductor industry), einer Kampagne für Arbeitsrechte von Beschäftigten der Halbleiterindustrie. Bevor die meist jungen Samsung-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Leukämie erkrankten oder ein Gehirntumor diagnostiziert wurde, galten sie nicht als Risikogruppe, waren gesund und begannen ihren Job bei Samsung, in einigen Fällen sogar am selben Fließband. Laut Kong lässt sich das nicht als statistischer Zufall interpretieren. Laut Samsung durchaus.

Die Halbleiterindustrie ist seit langem bekannt für gesundheitsgefährdende Arbeitsplätze. Ihr Image ist sauber; bekannt sind die clean rooms, Fertigungshallen, in denen kein Staubkorn die Produktion stört. Das dient mitnichten dem Schutz der Arbeiter in ihren bunny suits, sondern nur der schmutzfreien Verarbeitung der Silizium-Wafer. Es ist aber schwierig, den Zusammenhang zwischen Erkrankung und Arbeitsumgebung nachzuweisen, weil zwischen Beschäftigungsbeginn und Entdeckung der Krankheit häufig eine große Zeitspanne allmählicher Vergiftung liegt. In den 90er Jahren gingen erkrankte IBM-Mitarbeiter in die Öffentlichkeit, es gab Zurückweisungen und auch Prozesse, die mal verloren, mal gewonnen wurden. Späte wissenschaftliche Studien wiesen einen Zusammenhang nach oder lehnten ihn ab. Es bleibt irritierend, dass es in dieser innovativen High-Tech-Branche so wenig Innovatives beim Arbeitsschutz gibt.

Im Juni 2007 forderten die ersten erkrankten Samsung-Mitarbeiter Entschädigungszahlungen. In Südkorea sind solche Forderungen an die staatliche KComWel (Korea Workers‘ Compensation & Welfare Service) zu richten, eine Versicherung für solche Fälle, in die die Arbeitgeber gemeinschaftlich einzahlen. KComWel lehnte jedoch Zahlungen an Samsung-Opfer erstmals im Mai 2009 ab, Begründung: Es sei kein Zusammenhang mit dem Job erkennbar. SHARPS sammelte diese Fälle und reichte Anfang 2010 eine Klage gegen KComWel ein.

Erste Medienaufmerksamkeit erregte wenige Monate später der Krebstod von Park Ji-Yeon, Mitarbeiterin bei Samsung Semiconductor, ihre Beerdigung und der anschließende Marsch der Trauernden zum Samsung Headquarter inmitten Seoul City. Die Demonstration endete mit mehreren Festnahmen, die Festgenommen wurden zwei Tage in Gewahrsam gehalten.

Auflösung der Demo vor Samsung-Zentrale

Auflösung der Demo vor Samsung-Zentrale

Von Whistleblowers befreite interne Dokumente und zurückgehaltene Untersuchungen der Seoul University tauchten auf mit Berichten über bei Samsung Semiconductor eingesetzte gefährliche Chemikalien, unter anderem bei den Reinigungsarbeiten – was doch sehr an die Geschehnisse bei Wintek erinnert. Doch diese Berichte lagen KComWel nie vor. Der Organisation wurde vorgeworfen, dass sie gar nicht genügend Informationen hatte, um sich ein Urteil zu bilden, dass zudem alle Daten nur von Samsung selbst kamen.

Im Juni 2011 dann der erste Erfolg für SHARPS: Ein Gericht – ebenfalls nicht mit genügend Unterlagen ausgestattet – verurteilt KComWel zur Anerkennung der Entschädigungsansprüche von zwei (schon gestorbenen) der sechs klagenden Opfer. Obschon keine wissenschaftliche Klarheit herrscht, hält das Gericht die Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeitsumgebung die Ursache der Erkrankungen war, für hoch genug, da die Mitarbeiter am fast gleichen Arbeitsort mit gefährlichen Chemikalien nahe genug in Berührung kamen, trotz Einhaltung aller gesetzlich vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen. Bei den anderen vier wurde dies verneint.

Der Konzern hat auf das Urteil reagiert wie es zu erwarten war, hält Entschädigungszahlungen für unbegründet und weist bis heute jeden Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und den eingesetzten Chemikalien zurück. Er konnte es sich leisten, eine Studie in Auftrag zu geben, die diesen Standpunkt bestätigt, die allerdings wegen darin enthaltener Firmengeheimnisse lange Zeit nicht veröffentlicht wurde. Das beauftragte Institut Environ wird von der Industrie finanziert. Auch von KComWel kam mit einer eigenen Einschätzung Unterstützung für Samsung.

Andererseits hat Samsung eine öffentliche Untersuchung der bei SHARPS gesammelten Fälle angeboten, den Medien Vorzeige-Fertigungsstraßen präsentiert, ja sogar Betroffenen Zahlungen in Aussicht gestellt, wenn sie nicht offiziell Entschädigungszahlungen beantragen und auch auf sonstige Forderungen verzichten.

Im September 2011 reicht KComWel Berufung gegen das Urteil ein, auch SHARPS geht in Revision. Beide Entscheidungen stehen zu diesem Zeitpunkt noch aus. Immerhin scheint KComWel seine Taktik zu ändern: Im April 2012 erkennt es erstmals einen Samsung-Fall an und zahlt Entschädigung.

Selten im Fokus: Die Komponentenhersteller

Die Wertschöpfungskette in der IT-Produktion sieht grob so aus: Rohstoffgewinnung → Komponentenherstellung → Gerätefertigung → Nutzung → Entsorgung; hier schließt sich idealerweise ein Kreis). Die uns bekannten Markenhersteller entwerfen das Produkt nur noch – wenn überhaupt, denn auch das wird inzwischen ausgelagert – und sorgen für das Marketing und meist auch für den Vertrieb. Sie üben enormen Druck auf die Vertragsfertiger aus, damit diese schnell, flexibel und billig arbeiten. Sonst kommt halt die Konkurrenz zum Zuge. Genau dieser Druck wird an die Arbeiterinnern und Arbeiter weitergegeben: Hohes Arbeitspensum, flexible Arbeitszeiten und -verträge, geringe Löhne.

Der Markenhersteller Samsung fertigt auch selbst, der Druck entsteht also innerhalb der Firma. Samsung stellt viele Komponenten her, CPUs, Speicherchips, Display, vermutlich auch einige der sonstigen elektronischen Bauteile. In der kritischen Betrachtung der IT-Produktion wird nur selten über diese Komponentenhersteller berichtet, obwohl sie eine wesentliche Rolle spielen, zum Beispiel beim Einkauf der Rohstoffe. Sie sind auch mitverantwortlich für die Finanzierung krimineller Strukturen, für Umweltzerstörung und die unhaltbaren Zustände in den Minen. Bekannt sind unter anderem die Verhältnisse bei der Gewinnung von Zinn und Kobalt.

Im „Schwarzbuch Markenfirmen“ wird – allerdings schon 2001 – berichtet, wie ein Samsung-Vertreter versuchte, billiges Coltan (Tantal-Erz, benötigt für kleine Kondensatoren) aus der D. R. Kongo aufzukaufen. Schon damals war öffentlich bekannt und wurde von der UN verurteilt, dass sich der Bürgerkrieg im Ost-Kongo wesentlich aus den Zöllen und Bestechungsgeldern beim Rohstoffabbau finanziert. Heute betont Samsung jedoch, ausreichend Vorkehrungen zu treffen, kein Tantal aus der D. R. Kongo zu beziehen. Überprüfen kann man dies nicht.

 

2 Gedanken zu „Die Akte Samsung

  1. This kinda supports my insane theory that it’s pointless for other Android manufacturers to even compete in most markets where Samsung dominates. Samsung will always win the sales race and others have 0 chance of changing that in said markets.

  2. Samsung Corning Precision Materials blieb von einer Strafe verschont, da das Unternehmen von der Kronzeugenregelung der Kommission profitierte. Erkrankungen bei Mitarbeitern an einem Produktionsstandort in Sudkorea wurden mit den Arbeitsbedingungen in Verbindung gebracht.

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